Vor dem Fest
jetzt wird. Sie haben seit dem Abschied von den Schwermuths kaum gesprochen, auf Annas Fragen gab Schramm einsilbig Antwort, also fragte Anna irgendwann nicht mehr und trottete nur nebenher zum Landmaschinen-Areal, hilflos, aber auch irgendwie nicht hilflos, weil sie immer noch bei ihm war und er immer noch bei ihr.
»Gut«, sagt Herr Schramm. Er lässt die 350 PS aufheulen. Notwendig wäre das nicht gewesen, aber gut klingt es schon, wenn man es mag. »Also dann.«
Herr Schramm rammt den Zigarettenautomaten.
Anna schreit ein wenig, das ist aber bloß der Ruck.
Herr Schramm setzt zurück. Wenn der Mammut 6800 rückwärtsfährt, gibt es normalerweise dieses Piep-Piep-Geräusch. Hat er weggemacht, braucht kein Mensch. »Gut«, sagt Herr Schramm und rammt den Zigarettenautomaten wieder, und diesmal gibt die Stange nach und biegt sich, und Anna schreit, lacht aber auch ein bisschen, weil wie könntest du da nicht lachen?
Herr Schramm rammt den Zigarettenautomaten. Und das sind nicht nur die PS , das sind natürlich auch – das müsste mal einer ausrechnen – sehr viele Tonnen Gewicht, die da auf dieses Stängelchen einreden, und wenn eines mal ganz klar ist, dann dieses: Auf die Dauer hat so ein Zigarettenautomat keine Chance gegen einen Herrn Schramm und einen Feldhäcksler mit einem Maisgebiss, und beim fünften oder sechsten Aufeinandertreffen Metall gegen Metall ist es so weit: Die Stange bricht wie eine Stange, die bricht, und der Automat kippt zu Boden wie ein Automat, der zu Boden kippt, dafür gibt es nicht sehr viele Vergleiche, das kommt nicht sehr oft vor.
»Krass«, sagt Anna.
»So«, sagt Herr Schramm und schaltet den Warnblinker an.
Wir wissen gar nicht, wie wir das jetzt erzählen sollen. In dem Moment, da Herr Schramm den Motor abstellt, krächzt es von oben einen Fluch und ein »Ich glaub, es hackt!«, und im Fenster der Pension erscheint der schläfrige Kopf von – wir fassen es nicht, wir schaffen es nicht, den Namen auszusprechen –
»Frau … Mahlke?«, ruft Herr Schramm ungläubig, und wenn Herr Schramm seit Jahrzehnten eines nicht mehr ist und nach heute Nacht auch nie wieder sein wird, dann das: ungläubig.
»Wilfried?«, sagt Frau Mahlke erst zögerlich, dann zu Recht auch erbost. »Wilfried! Was machst du denn da?«
Das natürlich, findet Herr Schramm, ist keine so gute Frage, weil es ist doch ziemlich offensichtlich, was er macht, und das sagt er auch: »Ja, Zigaretten holen.«
Und Herr Schramm, ehemaliger Oberstleutnant der NVA , dann Förster, jetzt Rentner und, weil es nicht reicht, schwarz als Landmaschinenmechaniker, -fahrer sowie Putzkraft bei Von Blankenburg Landmaschinen , erkennt im Dämmerlicht die Farbe und den Glanz von Frau Mahlkes Augen (grün und glänzend), die ihn an die Bulette erinnern, an den warmen Sommertag, an den besten Sommertag des Sommers, und erkennt die Farbe und den Glanz vom Mammut 6800 (himmelblau und glänzend), der ihn an die Reise von Schwerin erinnert, den besten Frühlingstag des Frühlings, an dem er etwas tat, was er konnte, etwas tat, was er wollte, und dieses Mädchen hier, dieses Mädchen ist bei ihm geblieben, hat sein Leben retten wollen, ohne sein Leben zu kennen, ja, denkt Schramm, das ist doch ganz in Ordnung alles. Und von oben ruft Frau Mahlke: »Komm doch hoch, ich dreh dir eine«, und das ist so unwahrscheinlich, dass sie das ruft, das ist so unwahrscheinlich unwahrscheinlich, dass sie überhaupt da ist, dass Herr Schramm nur noch Anna die Hand geben kann und dem Mammut einen Klaps, um dann schnell zur Tür der Pension zu laufen, die dann aber zu ist, bis Frau Mahlke nach unten kommt mit dem Schlüssel.
IV
WIR SIND GERÜHRT. Pünktlich für das Fest hat ausgerechnet eine Zugezogene, Frau Reiff nämlich, unsere vier ältesten Postkarten aufgetrieben und auf gutem Papier neu herausgegeben. Mit alt meinen wir: ein Schwarzweiß so schwarzweiß, dass es braun aussieht. Das Haus der Heimat darf sie verkaufen und das Geld behalten. Die Originale gibt Frau Reiff in die Auktion.
1. Das Krieger-Denkmal im Friedhofshain: Das Jahr ist 1913. Adlerspitze auf der sich nach oben verjüngenden Stele. Unscharf die Grabsteine dahinter. Drei Kriege des 19. Jahrhunderts sind darauf in Namen festgehalten. 1864, 1866, 1870. Grüße aus Fürstenfelde in der Ecke.
Hat die Weltkriege überstanden. Die Namensliste ist heute entsprechend länger und steht auf extra Steinen neben der Stele.
2. Der Schützengarten : zeigt den Biergarten von Fritz
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