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Vor dem Regen - Roman

Vor dem Regen - Roman

Titel: Vor dem Regen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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thronte. Die Anlage war mittlerweile etwas aufgehübscht - anscheinend stand sie jetzt unter Denkmalschutz -, aber es war noch immer der alte, magische Ort. Zur Linken erstreckte sich die goldene Kurve von Coogee Beach; dann die Landspitze mit dem Mahnmal für die Opfer des Anschlags von Bali; dahinter sah man Clovelly hervorspitzen.
    Es war Ebbe und das Wasser im Becken ruhig. Wie es so
in der Morgensonne glitzerte, sah es aus wie der weltgrößte Edelstein, ein Fünfzig-Meter-Diamant im Brillantschliff.
    »Hallo, Trigger!«
    Großer, durchtrainierter Bursche. Mitte sechzig wahrscheinlich. Handtuch um den Hals. Badehose und Schwimmbrille am Handgelenk. Sah irgendwie bekannt aus, aber Trigger konnte ihn nicht recht einordnen. Er musste bemerkt haben, dass er sich schwertat, denn er half ihm aus der Verlegenheit. »Joe. Joe Mason. Nathans Vater.«
    Aber klar doch. Cricketspieler. Werfer. Hat ein paar Spiele mit der australischen Nationalmannschaft absolviert. Sein Sohn Nathan war Fitnesstrainer bei den Swans.
    »Freut mich, Sie zu sehen, Joe«, sagte Trigger, dem es etwas unangenehm war, wie er aussehen, wie er riechen musste. Herrgott, wer rechnete denn auch damit, gleich nach der Ankunft auf alte Bekannte zu treffen!
    »Hab gehört, es hätte Sie nach Norden verschlagen«, sagte Joe.
    »Darwin.«
    »Auf Besuch zurück?«
    »Ein für alle Mal zurück«, erklärte Trigger, und das klang so gut, dass er es am liebsten noch mal gesagt und in die Welt hinausgeschrien hätte. Trigger Tregenza ist ein für alle Mal zurück!
    »Und was machen Sie jetzt beruflich?«
    »Ich hab da momentan verschiedene Optionen«, antwortete Trigger, und wieso auch nicht, das stimmte ja.
    »Das Wasser ist wundervoll«, sagte Joe. »Wir laufen uns ja bestimmt mal wieder über den Weg.«
    »Worauf Sie sich verlassen können«, erwiderte Trigger.
    Rein in die Umkleide und in die Badehose. Die Treppe
runter, zum Beckenrand und nichts wie ins Wasser. Joe hatte recht: Es war wundervoll. Kalt, aber wundervoll. Am ganzen Körper spürte er den Zauber des Pazifiks, der all den Schweiß, all den Scheiß, den Dreck, der sich in mehr als zehn Jahren angelagert hatte, von ihm abwusch.

30
    »Schwester, du leidest unter Verfolgungswahn«, gab Trace die Psychiaterin, als beide an Dustys erstem Arbeitstag nach einer Woche Krankschreibung an einem Ecktisch in der Kantine saßen. Angefangen hatte es, gleich nachdem sie das Krankenhaus verlassen hatte und Fontana sie endlich überzeugen konnte, dass es nichts gab, was sie tun könnte - dieses Kratzen im Hals, das Pochen am Trommelfell, der nussgroße Schmerzknoten hinter der rechten Schläfe. Sie hatte Vitamin C genommen, Echinacea und Zink, ein vom Apotheker selbst zusammengemischtes Grippemittel und überhaupt praktisch alles, was die Hausapotheke hergab, doch umsonst, die Mikroben hatten in ihr den perfekten Wirt gefunden - überarbeitet, gestresst, übermüdet - und keinerlei Absicht, das Terrain zu räumen, bevor sie hier nicht eine richtige Orgie abgezogen hatten.
    »Ich leide nicht unter Verfolgungswahn«, widersprach Dusty.
    An der Art, wie man sie ansah oder eben nicht ansah, wie man mit ihr redete oder eben nicht redete, wie man sich ganz allgemein ihr gegenüber verhielt, merkte sie sehr wohl, dass nicht wenige Angehörige der Northern Territory Police Force ihr die Schuld an dem Ganzen gaben.

    »Die meinen, ich hätte ihn umgebracht.«
    »Dusty, er ist doch gar nicht tot!«
    Je nachdem mit welchem Mitglied der medizinischen Zunft man sich unterhielt, und Dusty war es in der vergangenen Woche trotz ihrer Krankheit gelungen, jeden einzelnen von ihnen zu befragen, bestand entweder »eine gewisse Aussicht, dass er durchkommt«, die »Hoffnung, dass sein Überlebenswille groß genug ist« oder »eine zehnprozentige Überlebenschance«.
    »John war schon immer eine Kämpfernatur«, beruhigte Trace.
    Und das, überlegte Dusty, war das, was man in dieser Situation immer sagte. Jeder ist ein Kämpfer, keiner schmeißt das Handtuch.
    »Und außerdem ist es nicht deine Schuld, Dusty.«
    Was ebenfalls unbestreitbar wahr war. Es war nicht Dustys Schuld, dass John auf die Idee kam, bei überhöhter Geschwindigkeit mit dem Handy zu telefonieren - 150 Sachen hatte er laut Unfallaufnahme draufgehabt -, und das bei Nacht, nach einem anstrengenden Arbeitstag und in einer Gegend mit unübersehbar hohem Kängurubestand.
    Als Dusty wieder an ihrem Schreibtisch saß, konzentrierte sie sich auf den Berg Arbeit, den sie

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