Vor dem Regen - Roman
abzutragen hatte. Und das war ein echter Berg - im Himalaya oder in den Anden, kein mickriger Kosciusko. Auftritt Fontana mit Khakihose, offenem Hemdkragen und dem Aussehen und Duft nach wie üblich frisch geduscht. Er war in der Tat ein bestens desodoriertes Lehrbeispiel dafür, wie sich auch unter widrigsten klimatischen Bedingungen die persönliche Hygiene aufrechterhalten ließ.
»Du bist wieder da«, stellte er fest.
»Hat ganz den Anschein«, entgegnete Dusty. »Hier ging’s wohl ziemlich rund in der letzten Woche?«
»Mordfallmäßig?«
Während des Build-Ups herrschte in der Mordkommission traditionell Flaute. Nicht ohne Grund nannte man es die Selbstmörderzeit. Die Energie reichte in der Regel bestenfalls dazu, sich selbst ins Jenseits zu befördern.
Dusty nickte. Mordfallmäßig.
»Paar Aufgeknüpfte, mehr nicht.«
Warum waren Männer nur immer so unglaublich schwer von Begriff?, fragte sich Dusty. Der Hintergedanke - den jede Frau auf Anhieb verstanden hätte - war natürlich, dass Fontana in der letzten Woche sehr viel zu tun gehabt haben musste, weil er Dusty während ihrer Abwesenheit weder besucht noch angerufen, ja ihr nicht einmal eine SMS geschickt hatte.
Zwar war Dusty eine starke, unabhängige Frau, die sehr gut auf sich selbst aufpassen konnte, aber eine kleine Geste des Beistands von einem langjährigen Kollegen hätte sie denn doch gefreut.
Sie machte gerade den Mund auf, um etwas zu sagen, als, in einem marineblauen Kostüm, dessen Rock knapp über dem Knie endete, Flick hereinstolzierte. In der Hand ein Bericht.
»Geht’s wieder?«, erkundigte sie sich bei Dusty.
»Schon viel besser, danke«, sagte Dusty. »Ist das der Autopsiebericht zu McVeigh?«
Flick nickte.
»Darf ich mal sehen?«
»Klar«, sagte Flick und gab Dusty das Dokument.
»Wer hat die Untersuchung durchgeführt?«, erkundigte sich Dusty.
»Dr. Singh.«
Dusty dachte an den klein gewachsenen Dr. Singh mit seinen Cricket-Statistiken und den grauenvollen Klopfklopf-Witzen und musste lächeln. Das Lächeln verging ihr allerdings, als sie den Bericht las. Auch nach elf Jahren Polizeidienst, davon vier bei der Mordkommission, nach ungezählten Stunden der Lektüre von True Crime und des Konsums von nicht ganz so wahren Fernsehkrimis, nach der Begegnung mit sämtlichen Spielarten menschlicher Verworfenheit, überkam Dusty noch immer der Schauer des Entsetzens, der Ungläubigkeit, des Ekels - wie konnte ein Mensch einem anderen so etwas nur antun?
Mit Tränen in den Augen sah Dusty zu Flick auf. Flick holte ein griffbereites Päckchen Papiertücher aus der Tasche und reichte es der Kollegin.
Ein Polizistinnenmoment, ein Mädelsmoment, ein menschlicher Moment. Dusty hätte nicht genau sagen können, was es war, aber plötzlich empfand sie Solidarität mit dieser Frau, die ihr so lange so unsympathisch gewesen war; gemeinsam konnten sie dafür sorgen, dass der Mann, der dieses arme Mädchen aufgeschnitten hatte wie Sashimi, bekam, was er verdiente.
»Noch keine DNA-Analyse?«
»Müsste morgen oder übermorgen da sein. Ich habe das Überwachungsteam für Gardner natürlich verstärkt - wir müssen damit rechnen, dass der Bastard versucht, sich aus dem Staub zu machen.«
Das Telefon auf Dustys Schreibtisch klingelte. Es war Big C.
»Kann es sein, dass wir um neun eine Besprechung hatten?«
»Mist!«
Sie wollte Flick die Papiertücher zurückgeben, doch die wehrte ab.
»Gut möglich, dass Sie die noch brauchen«, sagte sie.
Dusty stürzte durch den Korridor und fragte sich, wie Flick das gemeint haben könnte.
Das Bild von Flicks Tête-à-tête mit Big C unter dem Flammenbaum stand ihr noch ebenso deutlich und tiefrot vor Augen wie die Blüten auf dem Baum selbst.
31
Wie Dusty feststellte, hatte Big C ein wenig umarrangiert. Die Managementtexte waren jetzt nicht mehr vertikal gereiht, sondern horizontal gestapelt. Der Wasserkrug war verschwunden, und auf dem Untersetzer stand ein Duftöllämpchen. Zum Glück brannte es nicht - wenn es nach Dusty ginge, gab es kaum etwas, was dringender in Luft aufgelöst gehörte als ätherische Öle. An der Wand hinter Big C hing eine in Gold gerahmte Urkunde, auf der Dusty die Worte »Master of Business Administration« ausmachen konnte.
»Sie haben etliche belastbare Erfolge vorzuweisen«, sagte Big C und tippte auf die braune Akte auf dem Tisch.
Belastbare Erfolge?, fragte sich Dusty. Und was sollte das bitte schön im richtigen Leben sein?
»Drogen. Sexualdelikte.
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