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Vor dem Regen - Roman

Vor dem Regen - Roman

Titel: Vor dem Regen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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ich doch nur Tomasz hier zurückgelassen.
    Hätte ich hier doch nur Handyempfang.
    Hätten wir die Leiche doch nur mitgenommen …
    Als das abgehakt war, verlegte sich Dusty auf das, worauf sie tatsächlich Einfluss nehmen konnte. Wegen John würde sie natürlich Meldung machen müssen - man kann nicht einfach vom Tatort abhauen. Wahrscheinlich würde ihn das den Job kosten, und verdammt noch mal, es geschah ihm recht. Dusty mochte John und hielt ihn für einen der besten Spurensicherer, mit denen sie je zusammengearbeitet hatte, aber was er sich heute geleistet hatte, war heftig. Verdammt heftig.
    An der selben Raststätte, an der sie Tomasz abgesetzt hatte, machte Dusty Pause. Sie schlang eine fettige Mahlzeit hinunter, trank einen scheußlichen Kaffee und glotzte Australiens lustigste Heimvideos . Ein schmerbäuchiger Lastwagenfahrer mit einem T-Shirt, auf dem stand: »Keine Macht der Magersucht«, kam an ihren Tisch und grinste anzüglich.
    »Bist du scharf auf’n bisschen Spaß, Schätzchen?«, sagte er.
    »Schätzchen?«, wunderte sich Dusty. Beim letzten Gang zur Toilette war sie dem Spiegel weiträumig ausgewichen, aber sie hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie sie aussehen musste: zum Fürchten.
    Mit zusammengekniffenen Augen fragte sie: »Was schwebt dir denn da so vor?«
    »Bisschen fummeln im Kenworth? Ich hätt auch’n paar E-Teile, wenn du auf so was stehst.«
    Offenbar hielt er diese Kombination aus Unverfrorenheit und Amphetaminen für absolut unwiderstehlich, denn er ließ dazu einen umfänglichen Schlüsselbund vor ihrer Nase baumeln.

    »Ich werd bei Gelegenheit darauf zurückkommen«, versprach sie.
    »Auch recht«, erwiderte der Ex-Magersüchtige und watschelte davon.
    Dusty leerte den Kaffee, zahlte und setzte die Fahrt fort. Dicht hinter Pine Creek schien in der Ferne eine Lichtglocke auf. Dafür konnte es eine Vielzahl von Erklärungen geben - ein Großraum-Viehtransporter, Jäger, die mit dem Scheinwerfer nach Kängurus suchten -, aber Dustys Erfahrung sagte eindeutig: Verkehrsunfall. Eine halbe Stunde später sah sie ihre Erfahrung bestätigt. Gleißend helle, tragbare Scheinwerfer. Polizeiautos. Die Rettung.
    Sie drosselte das Tempo und hielt neben einem jungen, blonden Polizisten mit grüner Schutzweste. Sie hatte ihn schon öfters gesehen und sich gefragt, was so ein Surfertyp bei der Polizei wollte, kannte aber seinen Namen nicht.
    »Was ist los?«, erkundigte sie sich, als sie das Fenster herunterkurbelte.
    »Schlechte Nachrichten, Detective Buchanon.«
    Dusty war beeindruckt - er hatte sie trotz ihres verwilderten Äußeren erkannt.
    »Unfall?«
    »Leider Gottes einer unserer eigenen Männer.«
    Ein seltsamer Ausdruck, vor allem aus dem Mund dieses Wellenreiter-Polizisten. Leider Gottes einer unserer eigenen Männer. Wie aus einem alten, englischen Kinofilm.
    »John Goode.«
    Dusty stürzte aus dem Wagen und rannte los. Wie ein totes Stück Wild lag der Spurensicherungstransporter auf dem Rücken, die Räder in der Luft.

    Sie sah das Känguru, den blutigen, zerschmetterten grauen Leib. Und sie konnte es riechen.
    Der Rettungswagen, die Farben im Scheinwerferlicht aufdringlich grell, die Hecktür offen. Zwei Sanitäter laden die Trage ein.
    Da ist Fontana. Er sieht Dusty. Schüttelt den Kopf.

28
    Zügig überquerte Tomasz die Betonwüste des Alexanderplatzes und blickte zum Telespargel hinauf, der die tief liegende, graue Wolkendecke durchstach. Obwohl Berlin seit mittlerweile siebzehn Jahren wiedervereinigt war, überkam ihn nach wie vor ein leichtes Hochgefühl, sobald er die ehemalige DDR betrat, so als befände er sich auf verbotenem Terrain.
    Er ließ die riesigen, polierten Bronzeskulpturen von Marx und Engels links liegen. Die beiden sahen so gutmütig onkelhaft aus, dass kaum vorstellbar war, wie in ihrem Namen so viel Unheil hatte angerichtet werden können. Er überquerte den Fluss, zweigte in eine kleine Seitenstraße ab und blieb vor einem bescheidenen Ladenfenster stehen. »Fotogeschäft«, stand auf dem Schild.
    »Tomasz, schön Sie zu sehen«, sagte Herr Franz, als Tomasz den schummrigen Laden betrat.
    »Ganz meinerseits«, antwortete Tomasz.
    »Waren Sie weg?«, fragte Herr Franz.
    Tomasz musste lächeln - diese altmodische Höflichkeit. Herr Franz führte den Laden ganz allein, er hatte die Fotos entwickelt und wusste sehr gut, wo Tomasz gewesen war.

    »Australien«, antwortete Tomasz.
    »Ah, Australien«, wiederholte Herr Franz und kniff sich in den

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