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Vor dem Regen - Roman

Vor dem Regen - Roman

Titel: Vor dem Regen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Behördenapparat verfolgt und ihn schließlich bei der Polizeiauktion für einen Spottpreis erstanden. Er verfügte über keine Servolenkung. Er verfügte über keine Klimaanlage. Er hatte mal über ein Radio verfügt, bis irgendein Junkie es sich unter den Nagel gerissen und nur ein klaffendes Loch voller abisolierter Kabel hinterlassen hatte. Beastie Boy hatte zwei Aufgaben: die Kläffer an den Strand zu kutschieren und, theoretisch zumindest, alte Palmblätter auf die Müllkippe. Alles Übrige erledigte Dusty mit ihrem Dienstwagen, einem weißen VZ Commodore.
    Dusty hatte die Joggingkluft bereits an: Sport-BH, Shorts, ein Trikothemd mit der Aufschrift »Cheeky Monkey« und die noch nagelneuen Asics. Ohne das gewohnte Gewicht des Handys in der Tasche kam sie sich dennoch beinahe nackt vor.

    Nicht weit von den Toiletten lagerte eine Gruppe Grashocker - so nannte man die nomadisierenden Aborigines, die auf den Grünflächen rund um Darwin kampierten; sie saßen im Schneidersitz um die kokelnde Asche des gestrigen Lagerfeuers und ließen eine Weinflasche in einer braunen Papiertüte herumgehen. Obwohl sie gegen mindestens zwei Gesetze verstießen - Alkoholgenuss in der Öffentlichkeit und das strikte Verbot von offenem Feuer -, hatte Dusty im Moment anderes im Sinn, als für die Einhaltung von Recht und Ordnung zu sorgen. Sie lief an ihnen vorbei und sah angestrengt in die andere Richtung, eine ganz normale Bürgerin beim morgendlichen Joggen mit ihren Kläffern.
    »He, Spaltarsch!«, hörte sie eine vertraute Stimme.
    Spaltarsch war einer von Dustys Lieblings-Aborigine-Kraftausdrücken. Grundsätzlich bezog es sich auf Hinterbacken und Unterhosen sowie die Tendenz letzterer, erstere in zwei klar getrennte Bereiche zu teilen.
    Dusty blieb stehen und blickte sich um. Es war Marion - wie nicht anders zu erwarten. Einst eine schöne Frau, war sie nun ein Wrack - das linke Auge dauerhaft halb geschlossen, das verfilzte Haar voller Zweige, den rechten Arm in einer verdreckten Schlinge. Vor Jahren war Marion von mehreren kräftigen Männern ihrer Gemeinschaft vergewaltigt worden, und Dusty, die damals im Dezernat für Sexualdelikte tätig war, hatte ermittelt. Die Sachlage war eindeutig und ließ eine Verurteilung erwarten, und so hatte Dusty Marion dazu überredet, vor Gericht zu gehen. Traurigerweise hatte das Zusammenwirken eines skrupellosen Verteidigers mit Marions Unvermögen, seinen andauernden Sticheleien etwas entgegenzusetzen, und einem mitleidlosen Richter zu Freisprüchen für die Täter geführt. Die
Schande war natürlich zu groß gewesen. Marion hatte nicht in ihre Gemeinschaft zurückkehren können. Sie wurde zum Grashocker und zur Alkoholikerin.
    »Dutty, hast du wieder Klamotten?«, wollte sie wissen.
    Dusty gab ihre abgelegten Kleidungsstücke regelmäßig an Marion weiter.
    »Heute nicht, Tante.«
    Marion war kaum älter als Dusty, im strikten Sinne also eine »Schwester«, aber Dusty nannte sie »Tante«. Möglich, dass das als Würdigung von Marions grauenvollem Schicksal gedacht war, möglich aber auch, dass es, weniger wohlmeinend, daher rührte, dass sie ungefähr hundert Jahre älter aussah.
    Dusty lief weiter, joggte über den Fußgängersteg, der den Rapid Creek überspannte, einen der vielen Mangroven-Flussläufe, die in den Hafen von Darwin mündeten. Während des Build-Ups war der Strand kaum bevölkert. Erster und giftigster Grund hierfür war eine spezielle Qualle, die Seewespe, Chironex fleckeri für den Lateiner. Es handelte sich um ein Tierchen von denkbar harmlosem Äußeren, besonders im Vergleich zum zähnestarrenden Krokodil, dem die Gefährlichkeit deutlich anzusehen war, doch sein Stich führte zu dramatischen Schwellungen, zu Herz-Kreislaufproblemen, Herzversagen und, im schlimmsten Fall, zum Tod. Der andere Grund war der extreme Tidenhub am Top End. Momentan war Ebbe, und das hieß, die Arafurasee hatte sich in Richtung Timor zurückgezogen und eine gewaltige flache Ebene aus grobkörnigem braunem Sand hinterlassen. Selbst wenn jemand tollkühn genug sein sollte, sich Chironex fleckeri zum Trotz in die Fluten stürzen zu wollen, so war da einfach keine Flut, in die man sich hätte stürzen können.

    Dusty hielt sich beim Laufen an die Hochwassermarke, dort war der Sand kompakter. Die einzigen Geräusche waren ein leises Knirschen, wenn sie auf Mangrovenreste, auf Laub und Zweige trat, sowie das heftige Keuchen von Smith und Wesson neben ihr, deren Schwänze und Zungen

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