Vor dem Regen - Roman
Mutter, dann das Abtauchen ihres Nokia und jetzt das. Dusty hatte oft genug mit ihrem Bruder und seinen Freunden Rugby gespielt, um ziemlich genau zu wissen, wie man einen Gegner aushebelt. Sie traf ihn tief, und sie traf ihn hart, rammte ihm die linke Schulter ins Zwerchfell, dass ihm
die Luft wegblieb. Als er gekrümmt und nach Luft schnappend dalag, knallte sie ihm den Kopf in den Sand und nahm ihn in den Polizeigriff, indem sie ihm den rechten Arm hinter dem Rücken nach oben bog. Die Frau, das Gesicht mit Tränen, Blut und Rotz verschmiert, rappelte sich hoch. Sie war noch ein Kind, kaum ein Teenager.
»Du Polizei rufen, ja?«, sagte Dusty und deutete mit Daumen und Zeigefinger ein Telefon an.
Das Mädchen glotzte auf Dusty und ihren Phantasiehörer. Dusty sah die Furcht in ihren Augen. Furcht und Misstrauen.
»Okay, du rufen Polizei. Wir ihn einsperren, böser Mann.«
Das Mädchen machte zwei Schritte nach vorn und trat dann, mit voller Wucht, dem Mann auf den Schädel. Sie war barfüßig, aber das spielte keine Rolle. Der Schrei des Mannes wurde vom Sand gedämpft. Ermutigt trat sie noch einmal auf seinen Kopf. In gewisser Weise kam Dusty diese spontane Selbstjustiz sogar zupass: Damit wäre die Sache erledigt und sie nicht mehr vonnöten. Aber sie war eben auch Polizistin. Als das Mädchen zum dritten Mal mit dem Fuß ausholte, hob Dusty die Hand und sagte: »Stopp!«
Das Mädchen funkelte Dusty böse an, dann raffte sie den Rock und torkelte über den Strand davon.
»Du anrufen, ja?«, schrie Dusty ihr nach.
Um zehn, da sollte Dusty eigentlich ihren Dienst beginnen, hockte sie noch immer auf ihrem Frauenprügler. Er hatte zwar aufgehört, sich zu wehren, aber er war ein hagerer Kerl und gab keine sonderlich bequeme Sitzgelegenheit ab. Sie hatte versucht, zwei Joggern etwas zuzurufen, aber die waren zu weit weg gewesen und hatten sie nicht gehört. Und selbst wenn zufällig jemand vorbeikäme, so war das noch lange keine Garantie, dass derjenige ihr tatsächlich
helfen würde. Darwin war eine Stadt am Rande der Zivilisation, ein Ort, an dem strandete, wer sich im Süden allzu unbeliebt gemacht hatte; viele der Einwohner hatten eine wenn nicht direkt kriminelle, so doch zumindest klar antiautoritäre Grundeinstellung. Auch die Kläffer waren unzufrieden. Sie hatten Hunger und Durst, winselten und drängten unmissverständlich zum Aufbruch. Sosehr es ihr auch widerstrebte, Dusty musste sich eingestehen, dass sie ihn laufen lassen musste und es besser gewesen wäre, sie hätte sich dem Akt der Selbstjustiz gar nicht erst in den Weg gestellt.
Sie löste ihren Griff, stand auf und trat schnell zurück. Der Delinquent verharrte reglos. Spielt er toter Mann, fragte sich Dusty, oder ist er wirklich tot? Möglich wäre es: ein durch die Fußtritte ausgelöstes Hirn-Aneurysma oder Erstickung durch Verschlucken einer großen Menge des groben, braunen Sandes. Mit der Spitze ihrer Asics stupste sie vorsichtig an seine Rippen. Er rührte sich. Noch ein Stupser, diesmal fester. Langsam wälzte er sich auf die Seite, das Gesicht voll Sand wie ein mit Kokosraspeln bestreuter Lamington-Kuchen, und starrte Dusty finster an.
»Du offene Fotze.«
Offene Fotze? Dusty versuchte sich zu erinnern, wann sie das letzte Mal Sex gehabt hatte. Achtzehn Monate war das her, stimmt, zwei Tage bevor James ihr den Laufpass gegeben hatte, weil angeblich die Beziehung »nicht mehr entwicklungsfähig« war. Und jetzt lag da dieser ausgemergelte Frauenprügler und unterstellte ihr, sie sei nymphoman. Das wurde nun wirklich zu viel - jetzt hätte sie ihm am liebsten selbst den Schädel eingetreten.
Mit steifen Beinen und ohne jeden Rhythmus lief Dusty am Strand zurück und stellte sich dabei eine Tierhandlung
vor. Sie sah Aquarien mit den farbenprächtigsten Fischen. Sie sah ein Schaufenster voll entzückender Welpen. Und hinter der Ladentheke sah sie sich selbst stehen, die selbständige Zoohändlerin, auf der Schulter ein fröhlich plappernder Kakadu.
»Dusty will Keks?«, krächzte er. »Dusty will Keks?«
Vielleicht wollte Dusty tatsächlich einen Keks. Sie würde Richard heute Abend anrufen. Einfach mal drüber quatschen. Das konnte schließlich nicht schaden.
4
Die nackte Tasanee Niratpattanasai, besser bekannt als Noi, sah mit einer Bestürzung auf den kraftlosen Penis von Rob »Trigger« Tregenza, die vielleicht am ehesten dem Blick eines ehrgeizigen Gärtners auf eine Nacktschnecke auf seinem preisgekrönten Kohl
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