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Vor dem Regen - Roman

Vor dem Regen - Roman

Titel: Vor dem Regen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Schwerstarbeit leisteten.
    Dusty spürte immer sofort, wenn sie ihren Rhythmus gefunden hatte - denn dann pendelte die Uhrkette, die sie von ihrem Vater zum einundzwanzigsten Geburtstag bekommen hatte, im Einklang mit ihren Schritten. Neulich erst hatte Fontana wieder sein Gelaber von wegen Kontrollanzeigen, Zielbereichen und Maximalpuls abgelassen.
    »Ohne das Ding geh ich nirgendwo mehr hin«, hatte er gesagt und das Hemd aufgeknöpft, um ihr den Gurt um den massigen Brustkorb zu zeigen.
    Das klang alles höchst beeindruckend und wissenschaftlich, aber Dusty wusste, für sie war das nichts. Ihre Beine arbeiteten jetzt einwandfrei, ebenso die Lunge, und auf ihrer Stirn perlte der Schweiß, unausweichlich bei einer Luftfeuchtigkeit, die sich der Hundertprozentmarke näherte. Das war alles, was sie an Wissenschaft brauchte, und zwar schon seit frühester Jugend. Die Sportarten damals waren Wasserpolo und Schwimmen gewesen, aber das Gefühl war dasselbe: Man streifte alles von sich ab, all den Mist, den das Menschsein unvermeidlich mit sich brachte, und war nur noch Muskel und Sehne und Atem und, letztendlich, Schmerz.
    Sie legte einen Zahn zu, und die Kläffer machten die Tempoverschärfung klaglos mit. Leer lag der weite Strand vor ihr, nur eine seltsame Form war zu sehen. Beim Näherkommen erkannte sie, dass es sich um zwei Menschen handelte, die aufeinanderlagen. Wahrscheinlich hatten sie Sex.
Es wäre nicht das erste Mal, dass sie auf dem groben Sand von Casuarina ein Pärchen in flagrante delicto erwischte. Auch dies war ein schweres Vergehen, ein eklatanter Verstoß gegen Artikel 47 (a) Ordnungswidrigkeitengesetz, aber Dusty schaute weg und konzentrierte sich auf den Horizont zu ihrer Linken, wo die Wolken sich ballten wie Schaulustige um einen Verkehrsunfall. Bis zum Abend würden sie sich hoch auftürmen, eine graue Wand, vielleicht gar schwarz und von Blitzen durchzuckt, aber Dusty wusste, das war nur Show - es würde nicht regnen, noch nicht. Das wäre zu einfach, und der Anlauf, der Build-Up, war niemals einfach.
    Das Pärchen sprach Tiwi, die Sprache von der Insel im Norden von Darwin. Dusty verstand zwar den Wortlaut nicht, aber nach Liebesgeplänkel hörte sich das ganz und gar nicht an.
    Nicht hinsehen!, ermahnte Dusty sich immer wieder, ich bin nur eine ganz normale Bürgerin mit ihren ganz normalen Kläffern auf einem ganz normalen Morgenlauf.
    Aber hatte sie nicht auch geschworen, »Ihrer Majestät Frieden zu wahren und aufrechtzuerhalten und nach besten Kräften jeden Bruch desselben zu verhindern«? Dusty sah hin. Ein sehr dunkler, dürrer Mann mit nackter Brust und kahl geschorenem Schädel lag mit gespreizten Beinen auf einer ebenfalls sehr dunklen Frau, die er mit einer Hand an den Haaren riss, während er ihr die andere aufs Gesicht presste.
    Die meisten Verbrecher hasste Dusty gar nicht einmal, anders als andere Polizisten, die Kriminelle hassten wie ein Bauer das Ungeziefer und die es als ihre gottgegebene Pflicht ansahen, die Welt von ihnen zu befreien. Nein, für die meisten empfand sie beinahe so etwas wie Mitleid, waren
es doch jämmerliche, verpfuschte Typen mit einem jämmerlichen, verpfuschten Leben, das sie von ihren jämmerlichen, verpfuschten Eltern geerbt hatten. Frauenprügler aber hasste sie, hasste sie mit einer Inbrunst, die ihr manchmal selbst Angst machte.
    »He, du!«, schrie Dusty. »Runter von ihr!«
    Der Kerl sah sich um. »Fick dich«, sagte er in einer Sprache, die sie sehr gut verstand.
    Zeit, Verstärkung anzufordern. Dusty tastete nach dem Handy. Es war nicht da! Dann fiel ihr ein, dass es ja zwischen den Tentakeln des Kreepy Krauly verschwunden war. Was tun? Wesson scharrte jaulend im Sand, wo er eine Winkerkrabbe entdeckt hatte. Natürlich!
    »Wessie, fass!«, befahl Dusty. »Los, fass!«
    Wesson glotzte sie aus braunen, feuchten Augen an.
    »Muss ich wirklich?«, schien er zu betteln. »Ich bin ein prima Wachhund, aber ›fass machen‹, das ist nun mal nicht so mein Ding. Außerdem gibt’s hier eine vorwitzige Krabbe, um die ich mich dringend kümmern muss.«
    Dusty wandte sich wieder den beiden zu. »Aufgepasst, ich Nummer eins Cop«, sagte sie und verfiel unbewusst in Pidgin-Englisch. »Du in mächtig viel Trouble.«
    Der Mann musterte Dusty von oben bis unten, dann zog er die Faust zurück und drosch sie der Frau ins Gesicht. Dusty hörte das Splittern - Zähne? Wangenknochen? - und sah das Blut. Erst das unbefriedigende Gespräch mit ihrer unbefriedigenden

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