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Vor dem Regen - Roman

Vor dem Regen - Roman

Titel: Vor dem Regen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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erkundigte sich Wes begierig.
    »Haben Sie hier jemanden gesehen?«
    Nein, sie hatten hier niemanden gesehen, aber sie waren gern bereit, ein Auge offen zu halten. Besonders Wes. Als Dusty zum Wagen zurückkehrte, hatte Jamarra die Sandwiches gegessen. Alle Sandwiches.
    »War’s gut?«, fragte Dusty und schnappte sich einen Apfel, bevor der auch noch verschwand.
    »Ging so. Wenn du mich fragst, haben Pickles gefehlt.«
    Eine Generation, länger hatte es nicht gedauert. Von Teddy zu Jamarra. Vom Gentleman zum Scheißkerl.
    »Dann gehen wir’s mal an«, sagte Dusty.
    Jamarra zog Schuhe und Socken aus, krempelte die Trainingsanzughose gewissenhaft bis über die Knie hoch und schälte sich aus dem T-Shirt. Auf seiner Brust prangten zwei wulstige Narben. Initiationsnarben. Jamarra war so sehr Rock’n’ Roller, dass man ihn sich kaum als Teil dieser anderen Welt vorstellen konnte. Er griff in die Tasche und holte einen iPod heraus. Begleitet vom gedämpften Dröhnen des Basses
folgte Dusty Jamarra zum Billabong. Er hatte die gleichen präzisen, fast zierlichen Bewegungen wie sein Vater. Als er am Uferschlamm in die Hocke ging, stellte Dusty sich neben ihn.
    »Was soll’n das, Constable?«, brüllte er.
    »Ich schau nur zu«, sagte Dusty.
    »Hä?«
    Vorsichtig nahm Dusty einen der Ohrstöpsel heraus. »Ich habe gesagt, ich schau nur zu.«
    »Nein, tust du eben nicht. Ich kann hier nämlich keine Balanda brauchen, die alles kurz und klein trampelt, verstanden?«
    Dusty verstand. Sie setzte sich in den Wagen und tat, was sie immer tat: Sie machte sich umfangreiche Notizen.
    »Kann ich Sie auf eine Tasse Tee und ein Schwätzchen einladen?«, rief Bette nach einiger Zeit herüber, als grüße sie die Nachbarin über einen Vorstadt-Gartenzaun hinweg.
    Wieso nicht, dachte Dusty und legte Stift und Block beiseite. Der Tee schmeckte hervorragend, wenn Bette und Wes auch besorgt feststellten, dass Dusty weder Milch noch Zucker dazu nahm. Außerdem gab es Kekse, selbst gebackene Anzac-Nussplätzchen.
    »Ein Wohnmobil ist noch lange keine Entschuldigung, mit dem Backen aufzuhören«, erklärte Bette.
    Dusty stimmte ihr zu und überlegte mit schlechtem Gewissen, wann sie zuletzt gebacken hatte. Könnten Muffins gewesen sein, vor circa sechs Jahren. Eine Backmischung. Das Schwätzchen war ebenfalls nicht zu verachten und half, die nächsten beiden Stunden zu vertreiben.
    »Was genau sucht er denn nun?«, hielt Wes es irgendwann nicht mehr aus.

    Dusty war schon aufgefallen, dass Wes leicht nervös und zappelig war. Wahrscheinlich hatte er sich noch nicht wirklich an das Rentnerleben gewöhnt und würde es nach einem Leben voller harter Arbeit wohl auch nie tun.
    »Jemand ist hier in der Gegend verloren gegangen«, sagte Dusty.
    »Die sind gut, nicht wahr?«, meinte Bette.
    »Wer?«
    »Na ja, diese Eingeborenen. Unglaublich, was die so zuwege bringen. Unser Führer auf der Buschwanderung, der war wirklich fabelhaft«, erzählte Bette.
    Im selben Moment kam Jamarra zum Subaru zurück.
    »Hallo, auch eine Tasse?«, rief Bette hinüber.
    »Gern«, sagte Jamarra und eilte herbei.
    Sein Verhalten war unverändert. Hatte er etwas entdeckt oder nicht?
    »Wie nehmen Sie ihn?«, fragte Bette.
    »Weiß. Drei Zucker«, erwiderte Jamarra und setzte sich auf den Stuhl, den Wes ihm anbot.
    Bette lächelte - so war es eine richtige Tasse Tee.
    Einen so guten Tee, erklärte Jamarra, habe er seit Jahren nicht bekommen. Und die Anzac-Plätzchen, die waren wirklich fabelhaft - absolut gleichwertig, wenn nicht gar besser als die seiner Mutter. Und so ging es weiter, Jamarra hielt Hof, erzählte von seiner Kindheit, seiner Gang, seiner Musik. Bette und Wes waren hingerissen. Besonders Bette. Und das war durchaus verständlich - Jamarra war reizend, er war witzig, er war bescheiden. Gegen ihn wirkte Ernie Dingo, der liebenswürdige Moderator von The Great Outdoors, wie ein schwarzer Separatist.
    Er kann nichts entdeckt haben, ging es Dusty durch den
Kopf. Wenn doch, würde er nicht hier herumhocken und Bockmist blubbern. Oder doch? Nur, um sie zu ärgern. Und verärgert war sie in der Tat. »Verzeihung«, ging sie dazwischen, »aber ich müsste mich dringend unter vier Augen mit meinem Kollegen unterhalten.«
    »Du hast also nichts entdeckt?«, stellte Dusty ihn auf dem Weg zum Wagen zur Rede.
    »Hab ich nicht?«
    »Lass den Blödsinn, Jamarra. Entweder du hast was entdeckt oder nicht. Das ist kein Spiel. Hier geht es um Mord.«
    »Weißt du eigentlich,

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