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Vor dem Regen - Roman

Vor dem Regen - Roman

Titel: Vor dem Regen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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dass du echt süße Augen hast, Constable?«
    Eine Generation, länger hatte es nicht gedauert. Vom Gentleman zum Scheißkerl. Je schneller sie zurück nach Darwin kam, desto besser. Es gab andere Spuren, denen sie nachgehen musste. Dusty machte gerade die Autotür auf, als ihr etwas einfiel.
    »He, du hast denen doch erzählt, du hättest im Central Park gespielt?«
    »Hab ich das?«
    »Also warst du in New York?«
    »Ist das, wo der Central Park ist?«
    »Jetzt lass den Scheiß.«
    »Vor ein paar Jahren hab ich da mit White Cockatoo Didgeridoo gespielt.«
    White Cuckatoo war eine bekannte Aborigine-Tanzgruppe.
    »Dann war dir klar, dass die Behauptung, du würdest wegen dieser alten Drogengeschichte kein Visum bekommen, gelogen war?«
    Jamarra nickte. Dusty schämte sich. In ihrer ganzen elfjährigen
Dienstzeit war sie noch nie so tief gesunken. Und sie war völlig verwirrt: Wieso hatte er sich dann überhaupt auf die Sache eingelassen?
    »Wieso bist du mitgekommen?«
    »Der alte Herr. Ich weiß zwar nicht, warum, aber er meint, du wärst in Ordnung.«
    »Ja, ich war so weit ganz in Ordnung, bis ich dich kennen lernen durfte. Jetzt steig ein.«
    Jamarra stieg ein. Dusty ebenfalls.
    Als sie den Motor anließ, sang Lucinda davon, dass sie ihn nicht sonderlich vermisse. Wieder einmal staunte Dusty über die geradezu gespenstische Fähigkeit der Countrymusic, den Augenblick auf den Punkt zu bringen. Als sie an Wes und Bette vorbeikamen, kurbelte Jamarra das Fenster herunter.
    »Übrigens, ich an Ihrer Stelle würde lieber nicht hierbleiben«, riet er.
    »Und warum das?«, fragte Wes.
    »Böse Geister«, sagte Jamarra. Er kurbelte das Fenster wieder hoch.
    »Du liebe Güte!«, rief Dusty. »Wieso musstest du ihnen denn so einen Schrecken einjagen?«
    »Hier sind Tote vergraben.«
    Dusty stoppte den Wagen und sah Jamarra an. Schon wieder war er ihr ein völliges Rätsel.
    »Ist das dein Ernst?«
    »Wenn du nett fragst, kann ich dir sogar die Stelle zeigen.«
    Jamarra war schnell, und Dusty musste mehrmals kurz rennen, um mitzuhalten. Er lief am Billabong-Ufer entlang, dann zwischen einer Gruppe Kajeputbäume hindurch und blieb schließlich stehen.

    »Und?«, fragte Dusty.
    »Da«, erwiderte er und zeigte mit dem Finger, und selbst Dusty sah, dass der Boden hier aufgewühlt worden war.
    Sie ließ sich auf die Knie sinken und fing zu graben an, scharrte mit bloßen Fingern in der Erde.
    »Da, nimm das«, sagte Jamarra und gab Dusty einen spitzen Stock.
    »Willst du mir nicht helfen?«
    »Graben ist Frauenarbeit«, erklärte er, ließ sich im Schneidersitz unter einem nicht weit entfernten Kajeputbaum nieder und packte seinen iPod aus.
    Mit dem Stock lockerte Dusty die Erde und schaufelte sie dann beidhändig heraus. Unter dem tief hängenden, schwarzen Himmel rann ihr der Schweiß in Strömen übers Gesicht. Er troff ihr den Hals hinab und durchweichte ihr Oberteil und ihren BH. Dusty machte das nichts, sie arbeitete gern mit den Händen, denn da konnte man wenigstens sofort sehen, was man erreichte. Das war etwas völlig anderes als der Großteil der Polizeiarbeit, wo man Monate, manchmal Jahre schuftete, ohne jemals ein Ergebnis zu sehen. Als plötzlich Lance Dykstra auftauchte, überraschte das Dusty nicht sonderlich; es war so seine Art, immer da aufzutauchen, wo man ihn am wenigsten erwartete. Zum ersten Mal war er ihr während des Probedienstes begegnet, drei Tage nach seinem Selbstmord. Seine Lebensgefährtin hatte ihm den Laufpass gegeben, und daraufhin hatte er einen Schlauch vom Auspuff ins Innere seines Wagens gezogen. Dusty hatte sich freiwillig bereit erklärt, nach einem Abschiedsbrief zu suchen - man soll sich seinen Dämonen stellen, hatte sie sich gedacht -, und war zu Lance Dykstra ins Auto gestiegen.
Zu einem aufgeblähten, von Maden zerfressenen Lance Dykstra.
    Dusty stocherte mit dem Stock, schaufelte mit den Händen und ignorierte ihren Gast. Dann tauchte Therese Napangardi auf. Sie war Dustys erster Mordfall. Eine Grashockerin. Der Obduktionsbericht konstatierte an ihrer Leiche »32 frische externe Verletzungen«, darunter die Entfernung beider Brustwarzen und eines Auges.
    »Scheiße, was stinkt da so?«, entfuhr es Jamarra.
    Dusty glaubte erst, er sänge den Refrain mit, irgendwas von Snoop Doggy Dog vielleicht oder seinem großen Helden Tupac. Dann merkte sie es selbst. Der Geruch, der Gestank von faulendem Fleisch. Jetzt verstand Dusty: Das war es, was Lance und Therese wieder hervorgeholt, was

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