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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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zum ersten Male an dieser Stelle sah, hatte seine Musterung kaum geschlossen, als der Prinz, die Portiere der zu seinem Schlafzimmer führenden Türe zurückschlagend, früher eintrat, als erwartet war, und, die Verbeugung beider Herren mit freundlichem Gruß erwidernd, durch eine Handbewegung sie aufforderte, auf dem Sofa Platz zu nehmen. Er selber stellte sich mit dem Rücken gegen den Kamin, die Hände nach hinten zu gefaltet und ersichtlich bemüht, soviel Wärme wie möglich mit ihnen einzufangen. In diesem Bedürfnis verriet sich sein hohes Alter; sonst ließ weder seine Haltung noch der Ausdruck seines Kopfes einen Zweiundachtziger vermuten. Berndt erkannte gleich das Eigentümliche dieses Kopfes, das ihm in einer seltsamen Mischung von Anspruchslosigkeit und Selbstbewußtsein zu liegen schien. Und so war es in der Tat. Von Natur unbedeutend, auch sein lebelang, zumal an seinen Brüdern gemessen, sich dieser Unbedeutendheit bewußt, durchdrang ihn doch das Gefühl von der hohen Mission seines Hauses und gab ihm eine Majestät, die, wenn er (was er zu tun liebte) die Stirn runzelte, sich bis zu dem Ausdruck eines donnernden Jupiters steigern konnte. Eine mächtige römische Nase kam ihm dabei zustatten. Wer aber schärfer zusah, dem konnte nicht entgehen, daß er, im stillen lächelnd, den Donnerer bloß tragierte und allen ablehnenden Stolz, den er gelegentlich zeigen zu müssen glaubte, nur nach Art einer Familienpflicht erfüllte.
    »Sie kommen, mir Ihre Glückwünsche zum neuen Jahre auszusprechen«, hob er an. »Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit um so mehr, je gewisser es das Los des Alters ist, vergessen zu werden. Die Zeitläufte weisen freilich auf mich hin.« Er schwieg einen Augenblick und setzte dann, einen Gedankengang abschließend, dessen erste Glieder er nicht aussprach, mit Würde hinzu: »Ich wollte, daß ich dem Lande mehr sein könnte als eine bloße Erinnerung.«
    »Eure Königliche Hoheit sind dem Lande ein Vorbild«, antwortete Ladalinski.
    »Ich bezweifle es fast, mein lieber Geheimrat. Wenn ich meinem Lande je etwas war, so war es durch Gehorsam. Nie hab ich, im Krieg oder Frieden, die Pläne meines Bruders, des Königs, durchkreuzt; ich habe nicht einmal den Wunsch darnach empfunden. Das ist jetzt anders. Der Gehorsam ist aus der Welt gegangen, und das Besserwissen ist an die Stelle getreten, selbst in der Armee. Ich frage Sie, wäre bei Lebzeiten meines erhabenen Bruders der Austritt von dreihundert Offizieren möglich oder auch nur denkbar gewesen, ein offener Protest gegen die Politik ihres Kriegs- und Landesherrn? Ein Geist der Unbotmäßigkeit spukt in den Köpfen, zu dem ich alles, nur kein Vorbild bin.« Der alte Vitzewitz, wiewohl er sicher war, daß der Prinz von seinen Plänen nichts wußte, nichts wissen
konnte
, hatte sich bei diesen Sätzen, deren jeder einzelne ihn traf, nichtsdestoweniger verfärbt.
    »Eure Königliche Hoheit«, nahm er das Wort, »wollen zu Gnaden halten, wenn ich die Erscheinungen dieser Zeit anders auffasse und nach einer anderen Ursache für dieselben suche. Auch der große König hat Widerspruch erfahren und hingenommen. Wenn solcher Widerspruch selten war, so war es, weil sich Fürst und Volk einig wußten. Und in der bittersten Not am einigsten. Jetzt aber ist ein Bruch da; es fehlt der gleiche Schlag der Herzen, ohne den selbst der große König den opferreichsten aller Kriege nicht geführt haben würde, und die Maßregeln unserer gegenwärtigen Regierung, indem sie das Urteil des Volkes mißachten, impfen ihm den Ungehorsam ein. Das Volk widerstreitet nicht, weil es will, sondern weil es muß.«
    »Ich anerkenne den Widerstreit der Meinungen. Aber ich stelle mich persönlich auf die Seite der größeren Erfahrung und des besseren Wissens. Und wo dieses bessere Wissen zu suchen und zu finden ist, darüber kann kein Zweifel sein. Sie müssen der Weisheit meines Großneffen, meines allergnädigsten Königs und Herrn, vertrauen.«
    »Wir vertrauen Seiner Majestät...«
    »Aber nicht dem Grafen, seinem ersten Minister.«
    »Eure Königliche Hoheit sprechen es aus.«
    »Ohne Ihnen zuzustimmen; denn, mein lieber Major von Vitzewitz, dieser Unterschied zwischen dem König und seinem ersten Diener ist unstatthaft und gegen die preußische Tradition. Ich liebe den Grafen von Hardenberg nicht; er hat den Orden, dem ich fünfzig Jahre als Herrenmeister vorgestanden, mit einem Federstrich aus der Welt geschafft, er hat unser Vermögen eingezogen,

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