Vor dem Sturm
endlich wieder verschwindenden Alten einen Blick voll tragikomischen Hasses nach und fuhr dann mit gehobener Stimme fort:
»Nun wird es hell, und sieh, der Berge Gipfel
Erglühen purpurn, und der Feuerball
Der Sonne selbst vergoldet schon die Wipfel
Und scheucht ins Tal der Nebel feuchten Schwall;
Und höher in die Kuppel von Kristall
Will sich der ew'ge Strahlenquell erheben,
In Höh und Tiefe
Licht
wird's überall,
Bis schlucht-entlang die letzten Schatten schweben –
Ein neuer Tag ist da und atmet neues Leben.
Jetzt laß mich, Gott, Gemeinschaft mit dir halten !
Quell aller Weisheit, Herr und Vater mein,
Du siehst mein Herz, dir spricht mein Händefalten,
O laß dein Licht auf meinen Wegen sein;
Gib mir die Kraft –
du
gibst sie nur allein –,
Aus Sünd und Schwachheit mich herauszuschälen,
Und lehre mich, an
deines
Auges Schein
Des eignen Auges matten Sinn zu stählen,
Auf daß die Lust ihm wird, den rechten Pfad zu wählen.«
Kaum daß die letzte Zeile verklungen war, so erhob sich Buchhändler Rabatzki von seinem Platz und sagte in einem Ton, in dem Wichtigkeit und Bescheidenheit beständig miteinander rangen: »Meine Herren! Ohne Ihrem kompetenteren Urteil« (»Sehr gut, Rabatzki!«) »irgendwie vorgreifen zu wollen, bitt ich nur einfach von meinem vorwiegend geschäftsmännischen Standpunkt aus bemerken zu dürfen, daß ich mich glücklich schätzen würde, diese Strophen in der nächsten Nummer meines Sonntagsblattes, und zwar ausnahmsweise an der Spitze desselben, bringen zu können. Ich bitte Herrn Himmerlich, mich dazu autorisieren, zugleich aber auch in einer Anmerkung einige kurze biographische Notizen über den englischen Dichter, der mir seines berühmten Namensvetters durchaus würdig zu sein scheint, geben zu wollen.«
Über Himmerlichs Gesicht, der diese schmeichelhaften Worte Rabatzkis als ein gutes Omen für alles Kommende ansah, flog es wie Verklärung. Er sollte seines Triumphes aber nicht lange froh bleiben. Jürgaß klopfte den Fidibus aus, mit dem er eben eine frische Pfeife angeraucht hatte, und sagte: »Unseres Freundes Rabatzki sonntagsblattliche Begeisterung in Ehren, eines möcht ich wissen, ist es ein Bruchstück?«
»Nein.«
»Dann gestatten Sie mir die Behauptung, daß Ihr Sabbat zwar ein Ende, aber keinen Schluß hat.«
»Es wird sich darüber streiten lassen. Ich glaube nicht, daß es nötig war, meinen Morgenspaziergänger bis an seinen Frühstückstisch zurückzubegleiten.«
»Und ich meinerseits möchte bezweifeln, daß Sie dem Gedichte durch eine solche gemütlich-idyllische Zutat geschadet hätten. Indessen lassen wir das. Aber die Form, die Form, Himmerlich! Sagen Sie, was sind das für sonderbare Strophen?«
»Es sind sogenannte Spencerstrophen.«
»Spencerstrophen?« fuhr Jürgaß fort, »ich finde diesen Namen fast noch sonderbarer als die Verse selbst.«
»Ich nehme an, Herr von Jürgaß«, antwortete Himmerlich in einem immer erregter werdenden Tone, »daß Sie mit dem Bau der Ottaverime vertraut sind, jener achtzeiligen schönen Strophen, in denen Tasso und Ariost ihre unsterblichen Werke, den ›Orlando furioso‹ und das ›Gerusalemme liberata‹, dichteten.«
Jürgaß, der sich auf diesem Gebiete nichts weniger als zu Hause fühlte, rauchte stärker und suchte seine wachsende Unsicherheit hinter einem mit der Miene der Superiorität gesprochenen »Und nun?« zu verbergen.
»Und nun?« griff Himmerlich das letzte Wort auf, »die Spencerstrophe mag als ein Geschwisterkind dieser Tasso- und Arioststrophe angesehen werden. Ihre Reimstellung ist freilich anders, sie hat auch nicht acht Zeilen, sondern neun und geht in eben dieser neunten Zeile aus dem fünffüßigen Jambus in den Alexandriner über...«
»Ist aber nichtsdestoweniger eigentlich ein und dasselbe. Ich beneide Sie, Himmerlich, um diese Schlußfolgerung.«
Eine gereizte Debatte schien unausbleiblich; Lewin indessen schnitt sie geschickt ab, indem er bemerkte, daß es nicht Aufgabe dieses Kreises sein könne, die größeren oder geringeren Verwandtschaftsgrade zwischen Spencerstrophe und Ottaverime festzustellen. Er müsse bitten, auf die Dichtung selber einzugehen, wenn es nicht vorgezogen würde, trotz einiger kleiner Ausstellungen des Herrn von Jürgaß, die warmen Worte, in denen sich ihr immer treu befundenes Mitglied Buchhändler Rabatzki bereits geäußert habe, einfach als Urteil und Dankesausdruck der Kastalia selbst zu akzeptieren.
Hierauf wurde nicht
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