Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
stockten oder wurden einsilbiger; alles hatte nur noch einen Gedanken: das Ziel. Jürgaß übernahm die Führung, denn Groß-Kreuz war eben passiert, und der Weg, der jetzt nach links hin in den großen Lehniner Tannen- und Eichenforst einzubiegen begann, erheischte beides: ein scharfes Auge und eine sichere Hand.
    Zuerst Tannen. Ah, wie die Stille des Waldes alles labte! Der Wind schwieg, und jedes Wort, auch wenn leise gesprochen, klang laut im Widerhall. Ein warmer Harzduft war in der Luft und steigerte das Gefühl des Behagens. Über den Weg hin, hier und dort, liefen die Spuren, die das Wildschwein in den Schnee gewühlt hatte; von den schwanken Zweigen flog das Rotkehlchen auf, und aus der Tiefe des Waldes hörte man den Specht. Nun kam eine große Lichtung, an deren entgegengesetzter Seite das Laubholz anfing, aber zunächst noch mit Tannen untermischt. Die Sonne glühte hinter den Bäumen, und je nachdem die Lichter fielen, schimmerte das braune Laub der Eichen golden oder kupferfarben, während die schwarzen Tannenwipfel wie scharfgezeichnete Schatten in der schwimmenden Glut des Abends standen. Alles war hingerissen von der Schönheit des Anblicks, und Lewin sah deutlich, wie eine kleine Hand nach der anderen sich aus dem wärmenden Muff zog und auf die Waldstellen hindeutete, wo sich die Schatten und Lichter so zauberisch mischten.
    Bummcke entsann sich, selbstverständlich von Kopenhagen her, eines dieselben Abendtöne wiedergebenden Claude Lorrain und wollte eben zu kunstwissenschaftlichen Betrachtungen übergehen, als der Wald, der kurz zuvor noch endlos geschienen, sich plötzlich öffnete und eine Anzahl zerstreuter Baulichkeiten ziemlich deutlich erkennen ließ. Und ehe noch unsere Reisenden sich zurechtgefunden und ihrer Überraschung Ausdruck gegeben hatten, hielten sie schon vor ihrem Ziel: der Klosterkirche von
Lehnin
.
     
    War es Zufall oder hatte Jürgaß die Zeit ihrer Ankunft im voraus angegeben, gleichviel, aus der neben dem großen Rundbogenportale befindlichen Seitentür trat ihnen, ohne daß sie hätten klopfen oder warten müssen, ein kleiner hagerer Mann mit langem weißen Haar entgegen, der alte Lehninsche Küster, nur um zwei Jahre jünger als sein Hohen-Vietzer Kollege Jeserich Kubalke. Er begrüßte die zunächststehenden Damen durch Abnehmen seines Käppsels, sprach ein paar Worte mit Jürgaß und öffnete dann, entweder, weil dieser darum gebeten, oder auch, weil er selber den Wunsch einer möglichst feierlichen Einführung hatte, die schwere mit Eisen beschlagene Mitteltür. In dieser, trotz des Zugwindes, der wehte, blieb er stehen, bis alle Besucher eingetreten waren.
    Die Glut des Abends stand noch in den westlichen Scheiben, und ein roter Schimmer, der allem wieder einen Anflug vor Leben lieh, fiel auch auf die Brautkränze, die vertrocknet und mit langen ausgeblaßten Bändern an der gegenüber befindlichen Kirchenwand hingen. Es war die denkbar beste Stunde. Nichtsdestoweniger konnte keinem Beobachter entgehen, daß alles enttäuscht war, besonders die Damen. Sie hatten eben mehr erwartet.
    »Wo sind die Grabsteine?« fragte die Matuschka mit der vollen Ruhe derer, die sich noch weitab davon fühlen.
    »Sie dürfen keine Mehrheit von mir verlangen, gnädigste Gräfin«, antwortete Jürgaß, der sich mit dieser und Kathinka von dem Reste der Gesellschaft abgesondert und, weil er das Kloster genau kannte, der speziellen Führung der beiden jungen Damen unterzogen hatte. »Die Lehninschen Grabsteine, dank amtlicher und nichtamtlicher Verwüstungen, beschränken sich auf
einen
. Ich werde gleich die Ehre haben, Ihnen denselben vorzustellen.« Damit schritt er die Stufen zum hohen Chore hinauf, wo ein Mönch, in Stein geschnitten, auf seinem Grabe lag. Kathinka und die Matuschka folgten.
    »Ich erwartete«, sagte die Gräfin, »einen Soldaten zu sehen«, setzte dann aber, sich schnell verbessernd, hinzu, »ich meine einen Krieger. Sie dürfen nicht lachen, Jürgaß. Es ist doch anzunehmen, daß die Markgrafen Krieger waren, mit Schild und Panzerhemd und einer Krone. Oder trugen sie keine? Sie schweigen wieder; das ist nicht recht; ein Führer muß immer sprechen. Jedenfalls müssen diese Markgrafen doch irgend etwas auf dem Kopfe gehabt haben. Es waren Askanier, wenn ich den alten Ladalinski recht verstanden habe.«
    »Ja, Askanier oder Anhaltiner.«
    »Nicht doch. Sie wollen mich verwirren. Wenn es Askanier waren, so können es keine Anhaltiner gewesen sein. Der Alte Dessauer,

Weitere Kostenlose Bücher