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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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sein Wohlgefühl und seine gute Laune.
    »Haben Sie denn, gnädigste Gräfin«, wandte er sich an diese letztere, »das Weiße Fräulein bemerkt, als wir in den Wendeltreppenturm hineinsahen? Ich schrak zusammen; es war ein vollkommenes Bild unglücklicher Liebe.«
    Die Gräfin lachte; Kathinka aber sprach an Lewin vorbei: »Glaub ihm nicht, Wanda; er weiß nichts von unglücklicher Liebe. Ihm ist nie zu trauen, am wenigsten aber seinen Geschichten. Er erfindet sich, was ihnen fehlt.«
    »Desto besser«, sagte die Matuschka. »Ich mache mir nichts aus wahren Geschichten. Die wahren Geschichten sind immer langweilig oder häßlich. Bitte, Herr von Vitzewitz, erzählen Sie mir von dem ›Weißen Fräulein‹. Ganz auf Diskretion. Aber etwas recht Hübsches: Mönch, Liebe, Sehnsucht.«
    »Ja, gnädigste Gräfin, da haben Sie die Geschichte schon vorweg erzählt. Mönch, Liebe, Sehnsucht – das ist alles.«
    »Oh, tun Sie noch ein wenig hinzu.«
    »Ich darf es nicht, so gern ich Ihnen zu Diensten wäre. Solche Geschichten sind sehr empfindlich und nehmen es übel, wenn man an ihnen rührt oder sie gar verbessern will. Das Weiße Fräulein geht treppauf, treppab und sucht den Mönch, den sie liebt. Aber er verbirgt sich ihr. Um Sonnenuntergang tritt sie dann auf den Söller und breitet die Arme sehnsüchtig nach ihm aus, als habe sie ihn gesehen. Aber es war nur ein Schein. Dann setzt sie sich in den Pfeilerschatten und weint.«
    »Das ist hübsch«, sagte die Matuschka, auf deren immer lachendem Gesicht es einen Augenblick wie Teilnahme oder Trauer zitterte. Denn sie war weniger glücklich, als sie schien. Kathinka aber warf den Kopf in den Nacken und sagte: »Ich höre nicht gern von unglücklicher Liebe.«
    »Und doch ist die Welt voll davon«, antwortete Lewin.
    »Vielleicht gerade deshalb, daß ich sie nicht mag. Es ist so alltäglich, so tödlich, immer wieder dasselbe. Ich begreife keine unglückliche Liebe.«
    »Die Reichen begreifen nie, daß es auch Arme gibt.«
    Aber Kathinka hörte nicht, und in ihrer Vorliebe für Paradoxien auch vor dem Gewagtesten nicht zurückschreckend, gefiel sie sich jetzt darin, ihren einmal ausgesprochenen Satz in heiterem Spiele weiter auszuführen:
    »Wenn Liebe nicht glücklich sein kann, sollte sie gar nicht sein. Ich entsinne mich nicht, in der Bibel (ich meine im Alten Testament, wo die Menschen noch menschlicher waren) von einer unglücklichen Liebe gelesen zu haben. David liebte glücklich, Salomo noch mehr. Wenn man etwas sagen kann, so ist es vielleicht das, daß sie
zu
glücklich liebten. Unglückliche Liebe ist eine neue Erfindung, wie die Buchdruckerkunst oder das Spinnrad. Ja, wie das Spinnrad. Das surrt und summt, und endlos wird der tränennasse Faden weitergesponnen.«
    Die Matuschka horchte verwundert auf; Kathinka aber, durch diese Wahrnehmung eher angespornt als eingeschüchtert, fuhr in sich steigerndem Übermute fort: »Und nun gar ein ›Weißes Fräulein‹, das einen Mönch liebt. Man liebt überhaupt keinen Mönch. Wenn man ihn aber liebt – und ich ertappe mich plötzlich auf der Laune, nur noch Mönche lieben zu wollen –, so muß man ihn so lieben, daß kein Kloster der Welt ihn halten und verbergen kann. Aber Pardon, Wanda! Du mußt lachen; deshalb sprech ich ja. Lewin bitt ich nicht um Entschuldigung, weil ich ihm wieder ansehe, daß er alles glaubt, was ich eben gesagt habe.«
    Es war inzwischen immer dunkler geworden, und an der dem Kamin gegenübergelegenen Giebelwand lag nur noch ein grauer Dämmer, den dann und wann ein helleres Aufleuchten der weiter oben in der Halle stehenden Fackeln durchblitzte. Man sah auch in diesem ungewissen Scheine, daß es draußen leise zu schneien begonnen haben mußte, denn durch das offene Dach fielen einzelne große Flocken. Jeder fröstelte, und die Damen zupften ihre Pelzröcke höher an den Hals hinauf. Das war die Stimmung, die Jürgaß brauchte; er erhob sich jetzt, um nach seinen ersten, bei Beginn des Mahles gesprochenen Begrüßungsworten die eigentliche Rede des Tages zu halten.
    »Es hat Ihnen gefallen«, so begann er, »in Lehnin meine Gäste zu sein, in demselben Lehnin, an dessen vor vierhundert Jahren durch Frater Hermannus aufgezeichnete Weissagungen die Feinde Preußens so oft und so frohlockend erinnert haben, vor allem in diesen Tagen der Erniedrigung, in denen gehässiger Scharfsinn herausgerechnet hat, daß jetzt die Stunde da sei, von der uns die Prophezeiung berichtet: ›Und dem Letzten

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