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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Lutherschen wieder zusammen. Auch die von drüben; der Zehdensche Amtmann und der alte Oberförster von Lietze-Göricke. Unser Fräulein wollte erst nicht mit; aber Tante Schorlemmer hat ihr keine Ruhe gelassen.«
    »So, so«, sagte Lewin in leiser Verstimmung.
    »Soll ich sie holen?«
    »Nein, laß. Ich bin müde.«
    Damit traten sie von der Halle her, in der dies Gespräch geführt worden war, auf den Hinterflur des Hauses, wo Hektor schon seinen jungen Herrn erwartete. Aber als ob er wisse, daß dieser krank gewesen sei, enthielt er sich aller stürmischen Liebkosungen. Still wedelnd ging er neben ihm her und leckte ihm nur immer wieder die Hand, während sie die Treppe hinaufstiegen.
    In Lewins Zimmer war alles zu seinem Empfange bereit. Das leichte Federbett war halb zurückgeschlagen, und die bunte Steppdecke lag zusammengefaltet auf dem Stuhl daneben. Auf dem Sofatisch standen Maiblumen, das einzige, was das seit dem Tode der Frau von Vitzewitz vernachlässigte Gewächshaus hergegeben hatte. Aber was ihnen Wert lieh, war das, daß es Lewins Lieblingsblumen waren. Er sog ihren Duft ein und sagte mit bewegter Stimme: »Renate!«, während sich ihm ein beglückendes Gefühl des Geborgenseins in Heimat und treuer Liebe um das schwergeprüfte Herz legte.
    Eine Stunde später öffnete Jeetze leise wieder die Tür. Das Licht brannte noch, und der Alte nahm es vom Tisch, um es zu löschen. Hektor, der auf seinem Rehfell lag, blinzelte mit dem einen Auge, aber rührte sich nicht.
    Und im nächsten Augenblicke war alles wieder still.
     
Fünftes Kapitel
     
Letztwillige Bestimmungen
    Der nächste Abend sah unsere Freunde wieder im Halbkreis um den Hohen-Vietzer Kamin her. Es war so ziemlich dasselbe Bild wie am ersten Weihnachtsfeiertage, nur der Christbaum fehlte und mehr noch die Heiterkeit, die damals das Spiel mit den goldenen Nüssen begleitet hatte. Die Schorlemmer strickte wieder an ihrem Vlies, Renate, einen Crêpestreifen vor sich, nähte an einer Trauerrüsche, und Lewin – immer noch unter der Nachwirkung seiner Krankheit oder doch der Anstrengungen des gestrigen Tages – sah abgespannt vor sich hin und spielte gleichgültig mit einem Tannapfel, den er aus dem neben ihm stehenden Holzkorb genommen hatte. Nur Marie war bemüht, durch allerlei Fragen ein Gespräch einzuleiten, aber es blieb bei kurzen Antworten.
    Die kleine Uhr auf dem Kaminsims schlug acht. In diesem Augenblick meldete Jeetze den Pastor, der gleich darauf eintrat. Jeder bezeigte herzliche Freude, die sich bei Renaten in allerhand kleinen Neckereien äußerte. Es sei nicht gut, wenn der Hirt seine Herde verlasse; schon vier Stunden seien zuviel, und nun gar vier Tage! Nun sei der Wolf eingebrochen: Uhlenhorst in Person.
    »Ich weiß«, sagte Seidentopf. »Und wer begab sich freiwillig in die Gefahr? Wer war wieder mit dabei?«
    »Natürlich wir. Aber wir sind diesmal ungeschädigt davongekommen. Und nicht bloß wir, auch der Zehdensche Amtmann ließ ihn im Stich, als er beständig wiederholte: ›Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen.‹ Er konnte schon in den Weihnachtstagen von diesem Spruche nicht los, und nun wurd es jedem zuviel. Er vergißt immer, daß er zu alten Soldaten spricht. Er ist ein Lauenburger oder aus dem Eutinschen, und wenn ich ihn so höre, so bedünkt es mich immer, als ob jede andere Provinz auch ein anderes Christentum hätte. Aber das führt uns in Streit; ich sehe Tante Schorlemmer schon ungeduldig werden. Also nichts mehr davon. Und nun nehmen Sie Platz, teuerster Pastor, hier ist Ihr Stuhl, zwischen Marie und mir. Und nun erzählen Sie.«
    »Wovon?«
    »Von all und jedem, aber zuerst von Guse, denn wir wissen so gut wie nichts. Papa war nur einmal hier, und das war, als wir noch in Bohlsdorf waren. Also bitte, alles ist neu für uns. War es feierlich? War der Sarg offen oder geschlossen? Ach, ich hätte mich totgeängstigt, so stundenlang neben dem offenen Sarge zu stehen. Wer hielt die Rede? Wer war da?«
    »Alle, der ganze Freundeskreis: Bamme, Drosselstein, Krach, der Protzhagener Hauptmann in seiner alten Uniform vom Regiment Pirch – keiner fehlte. Auch Faulstich war da, mit einer Art Kantate, die, wenn Nippler seine Komposition beendet haben wird, am zweiten oder dritten Sonntag in der Guser Kirche gesungen werden soll. Unser Kirch-Göritzer Doktor hatte vorläufig die Textes-Strophen drucken lassen und überreichte jedem von uns ein Blatt.«
    »Eine Kantate«, sagte die Schorlemmer. »Und

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