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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Da niemand gewillt schien, den Platz am Kamin aufzugeben, so wurde das Tablett auf ein rundes, mit Tulaer Arbeit ausgelegtes Tischchen gestellt und dieses Tischchen in den Halbkreis hineingeschoben. Marie, deren Hände frei waren, machte die Wirtin und schälte das Obst.
    Allmählich, während der Teller von Hand zu Hand ging, begann das Gespräch wieder, wandte sich aber, da Friedensschlüsse, wie jeder wußte, nicht wohl möglich waren, anderen Gegenständen zu.
    Natürlich behielt Seidentopf das Wort; war er doch, seines Aufenthaltes bei Graf Drosselstein ganz zu geschweigen, unmittelbar nach dem Guser Begräbnis einen Tag lang in Küstrin gewesen und hatte während dieses Tages vieles gesehen und noch mehr gehört. Ein besonderes Interesse weckten seine Mitteilungen über die von Tag zu Tag sich mehrenden Desertionen, die freilich, wie Seidentopf hinzusetzte, nicht überraschen dürften, da die Hälfte der Garnison aus Westfalen unter dem Kommando des Generals von Füllgraf bestünde, eines alten Haudegens, der selber, wie man in der Bürgerschaft wohl wisse, aus dem Konflikt zwischen seinem deutschen Herzen und seinem französischen Eide nicht herauskäme. Auch seine Leute wüßten es und gingen deshalb in ganzen Trupps auf und davon. Andere, die vorläufig noch aushielten, hätten ihm einen Vers an die Türe geklebt, der habe gelautet:
     
    Füllgraf
bist du? Sage nein,
    Fülle nicht des Feindes Reihn.
    Führ uns.
Vollgraf
sollst du sein.
     
    Der alte Füllgraf selber, schon um nicht persönlich in Verdacht zu kommen, als sympathisiere er mit den Unzufriedenen, habe bei General Fournier, seinem Oberkommandanten, Anzeige von diesem Vorfalle gemacht und auf Untersuchung angetragen, aber die Untersuchung habe nichts ergeben, und die Desertionen hätten sich nur gemehrt. Der letzte Trupp sei siebzehn Mann stark gewesen und habe sich auf Kirch-Göritz zu davongemacht. Das sei nun drei Tage. Auf dem »Hohen Kavalier« hätten sie dann freilich die Alarmkanone abgefeuert, aber wozu? Die Bürger hätten gelacht und die Franzosen auch. Denn diese hörten von nichts anderem mehr als von »Volksbewaffnung« und wären natürlich klug genug, einzusehen, daß dieselben Bauern, die jetzt einen Aufstand vorhätten, nicht Lust haben könnten, die Schergen zu spielen und Deserteure zu fangen und abzuliefern.
    Hier unterbrach Lewin den Pastor, um sich nach dem Stande der Landsturmorganisation zu erkundigen, und erfuhr nun mit vielen Details, welche Fortschritte die Volksbewaffnung im Laufe der letzten drei Wochen gemacht habe. Anfangs sei Hohen-Vietz an der Spitze gewesen; die fast achttägige Abwesenheit Berndts aber habe zu kleinen Hemmnissen geführt, so daß jetzt Drosselstein voraus sei und vor allem Rutze. Er wisse das von Bamme selbst, mit dem er am Begräbnistage einen Spaziergang durch den Guser Park gemacht habe. Dieser Spaziergang sei überhaupt sehr angenehm gewesen, denn es plaudere sich gut mit dem Alten. Daß er nicht in die Groß-Quirlsdorfer Kirche zu bringen sei, oder doch nur ausnahmsweise, das sei seines Amtsbruders Sache. Der habe ihn mit seinem Schablonenchristentum herausgepredigt. Und das Schablonenchristentum sei nicht besser als das Pehlemannsche Angstchristentum. Aber gleichviel, sie seien in lebhaftem Gespräch die große Rüsternallee hinaufgegangen und durch den Dohnenstrich zurück, bis sie wieder vor dem Schwanenhäuschen gestanden hätten. Hier hätte Bamme nach dem Eckfenster hinaufgesehen und endlich vor sich hin gesprochen:
    »Sehen Sie, Seidentopf, es war doch eine merkwürdige Frau. Sie traf es immer, und auch mit diesem Rutze. Ja, da reichen keine hundertmal, daß ich ihr zugeschworen, den ganzen Rutzeschen Verstand in eine Haselnuß einpacken zu wollen, aber sie gab nicht nach und sagte nur immer wieder: ›Lieber Bamme, der Charakter entscheidet.‹ Und sie hat recht gehabt. Gestern war ich bei ihm in Protzhagen. A la bonne heure. Was er da zusammengebracht und einexerziert hat, ist unsere beste Compagnie. Ein Triumph der Disziplin. Kerle, um den Teufel aus der Hölle zu jagen.«
    Über dieses Bammesche Zitat kam Seidentopf nicht hinaus, denn es schlug eben neun, um welche Zeit er regelmäßig in seine Wohnung zurückzukehren liebte; außerdem gefiel ihm heute Lewins Aussehen nicht. So brach er auf, von Marie begleitet, die denselben Heimweg mit ihm hatte.
    Als sie den Hof passiert und auch das niedrige Vorderhaus, in dem Krist und der Gärtner wohnten, schon im Rücken hatten, sagte

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