Vor dem Sturm
von Faulstich! Das wird ein rechter Heidenspuk gewesen sein, von Anfang bis zu Ende. Nichts von Grab und Tod und noch weniger von Auferstehung. Bloß Unterwelt und Schatten und ein Dutzend griechischer Götternamen!«
»Doch nicht, liebe Schorlemmer«, erwiderte Seidentopf. »Sie tuen ihm unrecht. Es ist nichts Christliches, was er geschrieben hat, aber auch nichts Anstößiges. Dazu hat er zuviel Takt.
Übrigens hab ich das Blatt mitgebracht, und unsere Damen mögen entscheiden.« Damit nahm er ein schwarzgerändertes Papier aus der Brusttasche und gab es Lewin, der es apathisch auseinanderfaltete und nach kurzem Besinnen, ohne den Inhalt auch nur überflogen zu haben, weiterreichte.
»Lies du, Renate.« Und Renate las:
»Am Grabe
der Gräfin
Amelie
von
Pudagla
,
geb. von
Vitzewitz
Die du Niedres gemieden
In hohem Sinn,
Du bist nun geschieden;
Wohin, wohin?
Wohin? So klingen
Der Fragen viel;
Warum sie lösen, bezwingen?
Du bist am Ziel.
Das Beste hienieden,
Du hast es erreicht:
Du hast den
Frieden
.
Sei dir die Erde leicht.«
Eine kurze Pause folgte. Dann sagte die Schorlemmer: »Es ist nicht anstößig, weil es nicht spöttisch ist. Aber, teuerster Pastor, einem christlichen Herzen gibt es doch Anstoß genug. Er fragt: ›Wohin?‹ und weiß die Antwort nicht. Gott sei Dank, ich weiß sie.«
Seidentopf, der einer von den Allerweltsadvokaten war und immer etwas zu verteidigen fand, wollte auch diesmal zugunsten Faulstichs eintreten, Renate aber, die mittlerweile wahrgenommen hatte, daß auch die Rückseite der an Ausdehnung und Gläubigkeit gleich kurz gehaltenen Kantate mit Bleistiftzeilen überkritzelt war, ließ es zu keiner pastoralen Entgegnung kommen und bemerkte nur, indem sie mit ihrem Zeigefinger über das Gekritzel hinfuhr: »Ich wette, teuerster Prediger, daß wir hier, auf der Rückseite des Blattes, bereits Ihren kritischen Kommentar haben. Hab ich recht?«
»Nein, liebe Renate«, antwortete Seidentopf. »Ich bin überhaupt unkritisch, wie Turgany versichert. Auf manchem Gebiete vielleicht weniger, als er annimmt, aber doch gewiß unkritisch auf dem Gebiete der Kantate. Ich käme in Verlegenheit, wenn ich überhaupt nur feststellen sollte, was eine Kantate sei.«
»Nun, wenn keinen Kommentar, was enthalten diese Zeilen
dann?
«
»Letztwillige Bestimmungen der Guser Tante. Nicht ihr eigentliches Testament, ein solches hat sich überhaupt nicht vorgefunden, aber eine Art Begräbnisprogramm. Es fand sich unter anderen Papieren auf ihrem Schreibtisch, und ich habe mir, mit des Papas Erlaubnis und natürlich unter Weglassung einiger französischer Einschiebsel, in aller Eile eine Abschrift davon genommen.«
»Oh, das müssen wir hören«, rief Renate mit Lebhaftigkeit. »Aber es ist Augenpulver und gar nicht zu entziffern. Da müssen Sie selber aushelfen.«
»Gern«, erwiderte Seidentopf, »und um so lieber, als genau nach dem Inhalte dieses Programms verfahren wurde. Eben diese Bestimmungen sind die beste Beschreibung, die ich Ihnen von dem Begräbnis selber geben kann.«
»Nun, so lesen Sie«, bat Renate.
Lewin und Marie stimmten mit ein, und nur die Schorlemmer sagte: »Was werden wir da wieder hören müssen!«
Dann nahm Seidentopf das Blatt zurück und begann ohne weitere Säumnis oder Vorrede:
»
Bei meinem Ableben einzuhaltende Bestimmungen
Ich fürchte den Tod. Aber diese Furcht hält mich nicht ab, ihm ins Gesicht zu sehen. Er ist das Unvermeidliche. Und so bestimme ich, Amelie von Pudagla, geb. von Vitzewitz, in nachstehendem wie folgt:
Erstens
. Ich will in meiner Witwentracht in einen Sarg von Zedernholz gelegt und sodann aufgebahrt in die große Halle gestellt werden, da, wo der Faun steht. Dieser muß sich, solang es dauert, an einem andern Orte behelfen.«
»Da, wo der Faun steht«, wiederholte die Schorlemmer und klapperte mit ihren Nadeln.
Seidentopf fuhr fort:
»
Zweitens
. Den vierten Tag, bei Sonnenuntergang, will ich begraben werden, aber nicht in der Kirche, auch nicht in der angebauten Derfflingergruft, sondern im Guser Schloßpark, und zwar in dem kleinen Zedernhain, den sie Neulibanon nennen.
Drittens
. Es soll auf dem Wege vom Schlosse bis in den Park, unter Vorantritt Nipplers, von allen Dorfkindern das Lied: ›Was Gott tut, das ist wohlgetan‹, gesungen werden. Aber nicht: ›O Haupt voll Blut und Wunden‹. Dies verbiete ich ausdrücklich.«
Alle schienen von dieser Bestimmung überrascht und sahen sich
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