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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Seidentopf: »Wie fandest du Lewin? Mir gefiel er nicht. Keine dreimal, daß er das Wort nahm. Und wie spitz und abgespannt er aussah.«
    »Er sprach wenig«, sagte Marie. »Aber das darf uns nicht wundernehmen. Es war heute zuviel für ihn. Und die gestrige Fahrt. Und nach allem, was er durchgemacht hat an Leib und Seele.«
    »So weißt du, was es war?«
    Marie nickte. »Es war, was ich vermutete. Kathinka ist fort. Doch was sprech ich Ihnen davon; Sie werden in Guse davon gehört haben!«
    »Ja, Vitzewitz nahm mich beiseite und erzählte mir's; aber auch wenn er geschwiegen hätte, ich hätt es dem alten Ladalinski von der Stirn gelesen. Er machte den Eindruck eines gebrochenen Mannes.«
    »Sie war sein Liebling, aller Menschen Liebling. Und ich glaube fast, ich beneidete sie.«
    »Beneide sie nicht, Marie«, sagte Seidentopf, indem er ihr die Hand reichte. »Du hast das bessere Teil erwählt: Demut und den Frieden des Gemütes. In ihm allein ist Glück. Und nun: gute Nacht!«
    Und damit trennten sie sich, und der Pastor trat in den Flur seines Hauses und gleich darauf in sein Studierzimmer ein. Hier war alles dunkel, aber die Läden waren noch nicht geschlossen, und der Schnee und die Sterne draußen gaben gerade soviel Licht, als ihm lieb war. Er setzte sich auf das kleine Ledersofa und sah in den winterlich daliegenden Garten hinaus.
    »Es kommt doch, wie es kommen soll«, sagte er. »Ich bin dessen gewiß. Und jetzt mehr denn je. Kathinka fort. Das ging über alle Berechnung. Sie war die große Gefahr in meinem Exempel.«
    Er wollte dem noch weiter nachhängen, aber die großhaubige Haushälterin erschien geräuschvoll, stellte die kleine Studierlampe neben Bekmanns »Geschichte der Kurmark Brandenburg« und schloß die Läden.
     
Sechstes Kapitel
     
Ein Deserteur
    Um dieselbe Stunde, wo Seidentopf und die Frauen im Herrenhause plauderten, plauderten auch die Bauern im Hohen-Vietzer Krug. Es waren unsere alten Freunde vom ersten Weihnachtsfeiertage her: Kümmritz und »Sahnepott« und Krull und Reetzke; aber auch Miekley, der damals den Diskurs über Tiegel-Schultze und den Schwedter Markgrafen durch sein spätes Erscheinen unterbrochen hatte, hatte heute schon seinen Platz am Tische. Der alte Scharwenka ging wie gewöhnlich auf und ab und machte den Wirt, während Schulze Kniehase dem Fenster zu saß, wo der Küstriner Anzeiger und die beiden berlinschen Zeitungen lagen.
    Es traf sich, daß heute Bauer Reetzke, der sonst mit Krull um die Wette schwieg, das Wort führte. Denn er war den Tag vorher in Küstrin gewesen, wohin er, der Verproviantierung der Festung halber, ein Fuder Oderbruchheu abzuliefern gehabt hatte. Sein Bericht reichte zwei Tage weiter als der des Pastors.
    »Sie verproviantieren sich also«, sagte Sahnepott. »Laß hören, Reetzke, wie steht es damit?«
    »Je nachdem«, sagte dieser. »Alle Speicher sind voll, aber mit dem Schlachtvieh steht es schlecht. Das liebe Vieh hält nicht mehr bei ihnen aus und läuft ihnen weg. Vorletzte Nacht hundertundsiebzig Stück, alle von Tamsel und Quartschen.«
    »Hundertundsiebzig Stück?« fragte Kümmritz.
    »Ja, Kümmritz, wie ich dir sage. Vorgestern hatten sie das Tamseler Vieh zusammengetrieben und vorvorgestern das von Quartschen, und das stand ja nun auf dem ›Gorin‹, keine tausend Schritt vor der Stadt, und war paarweis zusammengekoppelt. Sie hatten es auch eingehürdet, und da, wo der Eingang war, stand eine Schildwacht. Aber nach eins ging der Mond unter, und als es wieder dämmerte und die Ablösung kam, da sahen sie, daß alles Vieh fort war.«
    »Wie denn?«
    »Es war ein Loch in der Hürde, und das hatte sich das liebe Vieh zunutze gemacht. Erst dachten die Franzosen, die Bauern hätten es heimlich weggetrieben, aber es waren keine Fußstapfen im Schnee, nur Klauenspuren, die bis halben Wegs nach Tamsel gingen. Weiter wagten sich die Franzosen nicht, denn die Russen sind schon bis dicht heran; bei Blumberg haben sie gestern eine Patrouille weggefangen.«
    »Das liebe Vieh«, sagte Kümmritz, »das hat so seinen Instinkt und läuft den Franzosen weg, aber die Westfalen bleiben und der alte Füllgraf auch. Und wenn es noch Westfalen wären! Aber es sind Altmärkische, aus der Salzwedeler Gegend und von Stendal. Ich habe selber mit ein paar von ihnen gesprochen. Warum laufen sie nicht weg? Warum desertieren sie nicht?«
    »Sie desertieren«, sagte Reetzke. »Vorige Woche vierzehn und diese Woche siebzehn Mann. Aber einen haben sie wieder,

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