Vor dem Sturm
illita...«
Er hatte sich bei jeder neuen Zeile mehr und mehr erhoben und starrte mit einem Ausdruck, als ob er etwas sähe, auf den Wandpfeiler zu Füßen seines Bettes. Und ein Lächeln, in dem Schmerz und Erlösung miteinander kämpften, verklärte jetzt sein Gesicht.
»Kathinka hatte recht... aber nun ist es zu spät... Salve caput cruentatum...« Es waren seine letzten Worte.
Er sank in die Kissen zurück, und seine Augen schlossen sich für immer.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Wie bei Plaa
In derselben Stunde noch war ein reitender Bote nach Berlin hin abgegangen, um dem Vater, in einigen Zeilen Berndts, die Nachricht von dem Tode seines Sohnes zu überbringen. Kein Versäumnis hatte stattgefunden. Nichtsdestoweniger ließ sich das Eintreffen des alten Geheimrats vor nächstem Abend nicht erwarten.
Am Morgen fanden sich wie gewöhnlich alle Hausgenossen in dem Eckzimmer zusammen, nur Renate fehlte, und Hirschfeldt nahm jetzt Veranlassung, alles, was ihm Tubal als seinen »Letzten Willen« ausgesprochen hatte, zur Kenntnis Berndts zu bringen. Dieser war einverstanden damit, das Hinaufschaffen des Toten in die Kirche soweit wie möglich zu beschleunigen; was aber das Begräbnis angehe, so werde der alte Ladalinski darüber zu bestimmen haben. Darnach trennte man sich. Hirschfeldt und Bamme ritten auf eine Stunde zu Drosselstein hinüber, und Lewin ging in die Pfarre, um all sein Freud und Leid an dieser Stelle auszuschütten. Wußte er doch, daß er hier alles sagen durfte, weil er für alles ein Verständnis fand. Und mehr als das: ein stilles Gemüt, das den Frieden geben konnte, den es selber hatte. Und nach diesem Frieden sehnte sich sein Herz.
Um zwei Uhr mittags fuhr ein großer Leiterwagen auf das Dorf zu, einer von denen, wie man sie zur Erntezeit, mit Garben hoch beladen und einem »Baum« darüber, in die vorn und hinten geöffneten Scheunentore hineinschwanken sieht. Ein sogenannter Oostwagen. Er kam von Küstrin, und jeder Hohen-Vietzer, der ihm irgendwo begegnet wäre, hätte gewußt, daß es ein Kniehasesches Gespann war und ein Kniehasescher Knecht, der fuhr. Dieser saß auf einem etwas vorstehenden Brett und hatte beide Füße auf die Deichsel gesetzt. Auf demselben Brette, dicht hinter ihm, standen zwei Särge, der eine schwarz mit weißem Beschlag, der andere gelb und mit häßlicher blauer Verzierung. Der gelbe viel kleiner. An den schwarzen hatte sich der Knecht angelehnt und rauchte.
»Hü!« und dabei gab er den Pferden einen Schlag. Als sie bis an die Auffahrt gekommen waren, traten Krist und Pachaly, die schon warteten, vor, um den vordersten Sarg abzuladen. Der Kniehasesche Knecht war ihnen dabei behülflich.
»Wecke Stunn bringen se 'n rupp?« fragte der Knecht, als er Kristen in den oberen Griff des Sarges einfassen sah.
»Hüt noch, glieks.«
»Un vörn Altar?«
»Joa, so seggen se.«
»Un woto vörn Altar? Dat's nich Mod bi uns.«
»Ick weet nich. Et is en Pohlscher. Un da möt et woll so sinn.«
Damit beruhigte sich der Kniehasesche Knecht und fuhr mit dem gelben Sarge weiter die Dorfstraße hinauf, an dem Schulzenhofe vorüber. Als er bei Miekleys Mühle war, bog er in den Forstacker ein und hielt endlich vor Hoppenmariekens Haus. Hier standen alte Weiber, die den gelben, häßlichen Sarg in Empfang nahmen.
»Kuck«, sagte die eine, »geel un blu, Dat is so wat för Hoppenmarieken.«
»Un so kleen as en Kinnersark.«
»Na, vun 'ne Kinner wihr se nu groad nich.«
»Nei, awers de Düwel is ook mal kleen west. Un wat deiht et ehr, dat se 'ne Hehlersch wihr? Se kümmt jo nu ook rupp, un se kulen ehr inn mang all de annern. Oll-Sidentopp wihr joa daför.«
»Joa, he. He denkt ook, he kann allens.«
Und damit brach das Gespräch ab.
Im Herrenhause war inzwischen ein lebhaftes Treiben gewesen, auf und ab, aber wie auf Socken, und kein Wort wurde gesprochen. Um vier Uhr lag der Tote gebettet in seinem Sarge, und eine Stunde später trugen ihn sechs Träger über den oberen Korridor hin und langsam die Treppe hinunter. Als sie die letzten Stufen eben passiert hatten und über den Hinterflur fort, wo das Hausgesinde stand, auf die Halle zu wollten, sahen sie sich aufgehalten, denn Hektor lag mitten in ihrem Wege. Er hatte sich von seiner Binsenmatte her bis an diese Stelle vorgeschleppt und mühte sich jetzt, sich aufzurichten. Aber umsonst; er winselte nur, und den Augen Berndts, der sich bis dahin gehalten hatte, entstürzten Tränen. So durchschritten sie
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