Vor dem Sturm
stumpf geworden, an den Rädern von Miekleys Mühle hing, blitzte wieder durchsichtig und kristallen, und die Tauben saßen auf Kniehases langem Scheunenfirst. Alles war licht und heiter, und ein erstes Frühlingswehen ging durch die Natur.
Und in hellem Sonnenscheine lag auch das Herrenhaus. Wer aber von der Auffahrt her einen Blick auf den Vorplatz und die lange Reihe der Fenster geworfen hätte, der hätte doch wahrnehmen müssen, daß es ein Trauerhaus sei oder, schlimmer als das, in jedem Augenblicke ein solches zu werden drohe. Über den Damm hin war eine dichte Strohlage gebreitet, und hinter den Scheiben wurde niemand sichtbar. Auch nicht hinter der Glastüre der Halle. Alles wie ausgestorben. Nur die Sperlinge waren guter Dinge; sie saßen in Scharen auf dem ausgestreuten Stroh und pickten die verlorenen Körner. Ihr Zwitschern war der einzige Ton, der in der tiefen Stille laut wurde.
Zwölf Stunden lagen zurück, und nur
eine
Minute vollen Glücks und höchster Freude hatten sie gebracht:
die
Minute, wo, nach der ersten Begrüßung mit der Schwester, das in Jubel und Tränen ausbrechende Wiedersehen zwischen Lewin und Marie auch zugleich ihr Verlöbnis bedeutet hatte. Und ein Verlöbnis, wie Menschenaugen kein schöneres gesehen. Denn es war nur gekommen, was kommen sollte; das Natürliche, das von Uranfang an Bestimmte hatte sich vollzogen, und Berndt selber, tiefbewegt in seinem Herzen, hatte sich des Glückes der Glücklichen gefreut.
Aber welch andere Minuten dann, als eine kleine Weile später der zweite Schlitten vorgefahren war und Krist und Pachaly den auf Betten und Kissen gelegten Tubal langsam und leise treppauf getragen hatten. Und auch Hektor hatte mit hinauf gewollt; aber gleich an der ersten Treppenstufe hatte seine Kraft versagt, und er war den schmalen Küchenkorridor entlang bis an seine Binsenmatte zurückgekrochen. Da lag er nun und schob sich näher an die warme Wandstelle hinter dem Herde; denn ihn fror.
Um elf Uhr war Doktor Leist von Lebus gekommen. Er stieg – so geräuschlos es seine Gewohnheit und seine Schneestiefel zuließen – in den oberen Stock hinauf und trat hier in das Krankenzimmer ein, in dem die Vorhänge, der prall auf die Fenster stehenden Morgensonne halber, dicht geschlossen waren. »Wir müssen Licht haben«, sagte er und schob eine der Gardinen beiseite.
Nun erst sah er Tubal. Dieser hatte heftige Schmerzen, ertrug aber ohne Zucken das Sondieren seiner Wunde, trotzdem eine »leichte Hand« nicht gerade das war, worüber Doktor Leist Verfügung hatte.
»Brav, junger Herr, das nenn ich tapfer ausgehalten.«
»Was ist es?« fragte Tubal.
»Ein häßlicher Fall; Perforation der Milz. Aber was ist die Milz? Das Überflüssigste, was der Mensch hat. Es gibt welche, die sie sich ausschneiden lassen. Und Jugend überwindet alles. In vier Wochen setzen wir uns hier ans Fenster, zählen die Dohlen auf dem Kirchendach und rauchen eine Pfeife Tabak. Sie rauchen doch, junger Herr?«
Tubal verneinte.
»Nun, dann spielen wir Patience oder Mariage.«
»Patience.«
Der alte Leist streichelte dem Schwerverwundeten die Hand.
»Das ist recht; immer Kopf oben und bei Laune geblieben. Gute Laune heilt und ist das beste Pflaster.«
Und darnach stieg er wieder treppab, um unten in Berndts Arbeitscabinet über den Befund seiner Untersuchung zu berichten.
»Nun, Doktor?« fragte Vitzewitz.
Der alte Leist zuckte die Achseln. »Er muß sterben.«
»Keine Rettung?«
»Nein; es war ein Schrägschuß, und das sind immer die schlimmsten. Alles durch: Lunge, Leber. Und zum Überfluß auch noch die Milz.«
»Und wie lange dauert es noch?«
»Wenn's hoch kommt, bis diese Nacht. Es ist heute sein letzter Tag, und morgen hat er es hinter sich. Wenn Sie seinem Vater, dem Geheimrat, noch Nachricht geben wollen, so ist es höchste Zeit. Freilich... doch zu spät. Er trifft ihn nicht mehr, und wenn er Flügel der Morgenröte nähme. Und das sind die schnellsten, wenn ich meinen Psalm recht verstehe.«
»Dann wollen wir es abwarten. Besser, er erfährt das Ganze als das Halbe.«
Leist nickte.
»Ach, Doktor«, fuhr Berndt fort, »welche Tage das! Um Lewin zu retten,
dieser
Preis! Wie soll ich dem Vater unter die Augen treten! Der einzige Sohn, nein, mehr... das einzige Kind!«
Berndt stützte seinen Kopf in die Hand und sagte dann nach einer Weile: »Was haben Sie verordnet?«
»Nichts.«
»Und was geben wir ihm, wenn er etwas will?«
»Alles.«
»Ich verstehe. Und wann
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