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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Wort darüber zu sagen. Wie alle alten Schlösser, so hatte auch Schloß Guse sein Hausgespenst, und zwar eine Schwarze Frau. Diese Weißen und Schwarzen Frauen gelten bei Kennern als die allerechtesten Spuke, gerade weil ihnen das fehlt, was dem Laien die Hauptsache dünkt: eine Geschichte. Sie haben nichts als ihre Existenz; sie erscheinen bloß. Warum sie erscheinen, darüber fehlen entweder alle Mitteilungen, oder die Mitteilungen sind widerspruchsvoll. So war es auch in Guse. Die Erzählungen gingen weit auseinander, nur das stand fest, daß das Erscheinen der Schwarzen Frau jedesmal Tod oder Unglück bedeute. Die Gräfin, sonst eine beherzte Natur, lebte in einem steten Bangen vor dieser Erscheinung; was ihr aber das peinlichste war, war der Gedanke, daß sie möglicherweise einmal einem bloßen Irrtum, ihrem eignen Spiegelbilde zum Opfer fallen könne. Da sie sich immer schwarz kleidete, so hatte diese Besorgnis eine gewisse Berechtigung, und sie traf ihre Vorkehrungen darnach. Die Anlage der mehrerwähnten Wendeltreppe stand im Zusammenhange damit; sie wollte das Spiegelzimmer nicht passieren, wenn sie sich spätabends aus dem Salon in ihr Schlafzimmer zurückzog. In diesem letzteren war nun natürlich der große Trumeau ein Gegenstand ihrer besonderen Aufmerksamkeit und Besorgnis, und ein durch Eva auch nur einmal versäumtes Herablassen des Vorhanges würde schwerlich ihre Verzeihung gefunden haben.
    Es war heute noch früh, kaum elf Uhr, und die Gräfin, die ohnehin die Nacht am liebsten zum Tage gemacht hätte, hatte keinen Grund, die Ruhe vorzeitig aufzusuchen. Es waren noch Briefe zu schreiben.
    Sie setzte sich an einen mit Schildpatt und Boulearbeit ausgelegten Tisch, der zwischen Bett und Fenster stand, überflog einen kurzen Brief, der ihr zur Linken lag, und schrieb dann selbst:
     
    »Mon cher Faulstich. Tout va bien! Demoiselle Alceste, wie sie mir heute in einem unorthographischen Billet (le style c'est l'homme) anzeigt, hat akzeptiert. Sie wird am 30. in Guse sein et, comme j'espère, den Dr. Faulstich bereits hier antreffen. Sie dürfen mich nicht im Stiche lassen.
    Meinen Dank für die Vorschläge, die Sie gemacht. Ihre Begeisterung für de la Harpe, den Sie zu favorisieren scheinen, kann ich nicht teilen, weder für die ›Barmecides‹ noch für den ›Comte de Warwick‹. Die rot angestrichenen Stellen (Tome VII erfolgt zurück) lasse ich gelten.
    Ich habe mich, après quelque hésitation, für Lemierre entschieden, nicht für den ›Barnevelt‹, der soviel Aufsehen gemacht hat und der reifer ist, sondern für den ›Guillaume Tell‹, justement parcequ'il n'a pas cette maturité. Er hat dafür Schwung, Feuer, Leidenschaft. Demoiselle Alceste, ohne daß ich ihr Urteil kaptiviert hätte, ist mir beigetreten. Ich leugne übrigens nicht, daß auch Rücksichten auf den Effekt meine Wahl bestimmt haben. Cléofés Paraphrasen an die Freiheit sind genau das, was man jetzt hören will, et comme Intendant en Chef du Théâtre du château de Guse habe ich die Verpflichtung, Neues, Zeitgemäßes zu bringen und mich dem Geschmacke meines Publikums anzubequemen. S'accomoder au goût de tout le monde, c'est la demande de notre temps. Das Beste wird Demoiselle Alceste tun müssen et encore plus la surprise. Also Verschwiegenheit, auch gegen Drosselstein.
    Aber eines fehlt noch, cher Docteur, et c'est pour cela que je recours à votre bonté. Es fehlt ein Prolog, ein Epilog, ein Chorus, ein Irgendetwas, das vorwärts oder rückwärts oder seitwärts weist, denn so könnte man den Chorus vielleicht definieren. Sie werden schon das Richtige finden. J'en suis sûre. Vielleicht täte es auch ein Lied. Aber es müßte etwas Leichtes sein, das Renate vom Blatte singen könnte.
    N'oubliez pas que je vous attends le 30. Je suis avec une parfaite estime votre affectionnée
    A. P.«
     
    Ein zweiter Brief war an Demoiselle Alceste gerichtet. Er enthielt nur den Ausdruck der Freude, sie mit nächstem zu sehen. Die Gräfin siegelte beide Briefe, löschte die auf dem Schreibtische stehenden Kerzen und legte sich nieder. Nur noch die italienische Lampe brannte. Sie band, wie sie seit vielen Jahren tat, ein safranfarbenes Tuch um ihre Stirn und versuchte zu lesen, aber das Buch entfiel ihrer Hand. Die Eindrücke des Tages zogen an ihr vorbei; sie hörte die heftigen Reden Berndts, dann klangen sie ruhiger, und die großen Portaltüren, die Bamme mit soviel Eindringlichkeit geschildert hatte, öffneten sich langsam und

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