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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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seine Kopenhagener Stellung aufgab und ins Brandenburgische zurückkehrte.«
    »Es überrascht mich«, bemerkte Lewin, »nie früher von ihm gehört zu haben. Wo war er all die Zeit über? Unser Jürgaß zählt sonst nicht zu den Schweigsamen.«
    »Ich möchte vermuten, daß er seine Zeit zwischen literarischen Beschäftigungen in Berlin und Aushilfestellungen auf dem Lande teilte. Dann und wann war er in Gantzer. In Stechow, wenn ich recht verstanden habe, hat er gepredigt. Im übrigen wird er vor Ablauf einer Woche meine Mitteilungen vervollständigen können. Und wenn nicht er, so doch jedenfalls Jürgaß, der, während er ihn ironisch zu behandeln scheint, eine fast respektvolle Vorliebe für ihn hat. Er rühmt vor allem sein Erzählertalent, wenn es sich um skandinavische Naturbilder oder um die Schilderung persönlicher Erlebnisse handelt. Schon in dem ›Hakon Borkenbart‹, den er uns vorlas, trat dies hervor. Es war mir interessant, mit welcher Aufmerksamkeit Bninski folgte, erst dem Gedichte, dann dem Dichter, vielleicht noch mehr dem Menschen. Aber ich entsinne mich, ich schrieb schon davon.«
    »Es will mir scheinen, Tubal«, nahm hier Kathinka das Wort, »daß du dem Grafen deine persönlichen Empfindungen unterschiebst. Er verlangt Schönheit, Form, Esprit, alles das, was dieser nordische Wundervogel, in dem ich schließlich eine Eidergans vermute, nicht zu haben scheint. Bninski ist durchaus für südliches Gefieder. Er hat gar kein Verständnis für preußische Kandidaten- und Konrektoralnaturen, die nie prosaischer sind, als wo sie poetisch oder gar enthusiastisch werden.«
    »Da verkennst du den Grafen doch«, erwiderte Tubal, und Lewin setzte mit einer Verbeugung gegen die schöne Cousine hinzu: »Ich muß auch widersprechen, Kathinka; Bninskis Neigungen gehen den Weg, den du beschrieben hast, aber er ist zugleich eine tiefer angelegte Natur, und es dämmert in ihm die Vorstellung, daß es gerade die Hansen-Grells sind, die wir vor den slawischen Gesellschaftsvirtuosen, vor den Männern des Salonfirlefanzes und der endlosen Liebesintrige voraushaben. Übrigens ist es Zeit, unser Thema abzubrechen. Kirch-Göritz ist eine Stunde, und die Tage sind kurz. Wir nehmen doch die Jagdflinten? Möglich, daß uns ein Hase über den Weg läuft.«
    Tubal stimmte zu. Ihr Adieu für den Moment ihres Aufbruchs sich vorbehaltend, verließen beide Freunde das Zimmer, um sich für ihre Jagd- und Gesellschaftsexpedition zu rüsten.
    Auch die jungen Damen standen auf, und Renate begann die Brotreste zu verkrumeln, mit denen sie jeden Morgen ihre Tauben zu füttern pflegte.
    Kathinka, in einem enganschließenden polnischen Überrock von dunkelgrüner Farbe, der erst jetzt, wo sie sich erhoben hatte, die volle Schönheit ihrer Figur zeigte, war ihr dabei behilflich. Alles, was Lewin für sie empfand, war nur zu begreiflich. Ein Anflug von Koketterie, gepaart mit jener leichten Sicherheit der Bewegung, wie sie das Bewußtsein der Überlegenheit gibt, machten sie für jeden gefährlich, doppelt für den, der noch in Jugend und Unerfahrenheit stand. Sie war um einen halben Kopf größer als Renate; ihre besondere Schönheit aber, ein Erbteil von der Mutter her, bildete das kastanienbraune Haar, das sie, der jeweiligen Mode Trotz bietend, in der Regel leicht aufgenommen in einem Goldnetz trug. Ihrem Haar entsprach der Teint und beiden das Auge, das, hellblau, wie es war, doch zugleich wie Feuer leuchtete.
    »Sieh«, sagte Renate, während sie mit einer Schale voll Krumen auf das Fenster zuschritt, »sie melden sich schon.« Und in der Tat hatte sich draußen auf das verschneite Fensterbrett eine atlasgraue Taube niedergelassen und pickte an die Scheiben. »Das ist mein Verzug«, setzte sie hinzu und drehte die Riegel, um die Krumen hinauszustreuen. Kathinka war ihr gefolgt. In dem Augenblick, wo das Fenster sich öffnete, huschte die schöne Taube herein, setzte sich aber nicht auf Renatens, sondern auf Kathinkas Schulter und begann unter Gurren und zierlichem Sich drehen ihren Kopf an Kathinkas Wange zu legen.
    »Untreuer Liebling!« rief Renate, und in ihren Worten klang etwas wie wirkliche Verstimmung.
    »Laß«, sagte Kathinka. »Das ist die Welt. Untreue überall; auch bei den Tauben.«
    In diesem Momente traten die beiden Freunde wieder ein, um sich, wie angekündigt, bei den jungen Damen bis auf Spätnachmittag zu empfehlen. Sie trugen Jagdröcke, Pelzkappen, hohe Stiefel, dazu die Flinten über die Schulter gehängt.

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