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Vor Jahr und Tag

Titel: Vor Jahr und Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Howard
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und schnüffelte daran. Sie war nicht abgefeuert worden; er roch kein Schießpulver, nur den scharfen, reinen Geruch von Metall, Plastik und Waffenöl. Das Ding befand sich in einem ausgezeichneten Zustand, war sorgfältig gepflegt worden. Er sah nicht nach dem Clip, da er keine Fingerabdrücke verwischen wollte, aber er würde wetten, daß die Waffe geladen war.
    »Ist sie abgefeuert worden?« erkundigte sich Shannon.
    »Nein.« Marc ließ die Pistole in den Plastikbeutel
    plumpsen, während seine Augen die Leiche nach weiteren interessanten Details absuchten.
    Die Tatsache, daß er eine Glock bei sich trug, machte aus einem ganz gewöhnlichen Penner einen ziemlich ungewöhnlichen Penner, und das wiederum erregte Marcs Neugier. Warum sollte ein ganz gewöhnlicher Penner eine Glock mit sich rumschleppen? Drogen? Eher unwahrscheinlich. Penner waren User, keine Dealer. Deshalb lebten sie ja auch auf der Straße. Wenn man also annahm, daß er die Glock geklaut hatte, vielleicht um sie für Drogen zu verkaufen, warum schleppte er sie dann noch mit sich rum? Eine Glock war leicht loszuwerden. Vielleicht hatte er sie ja zu seinem Schutz behalten, was ihm das genutzt hatte, das sah man ja.
    Wozu sollte er überhaupt Schutz brauchen? Leute, die sich um ihre Sicherheit sorgten, lebten wohl kaum auf der Straße.
    Während er sich die Leiche ansah, bekam er das leise Gefühl, etwas übersehen zu haben, etwas Ungewöhnliches, etwas, das nicht war, wie es sein sollte. Es lag nicht an der Leiche selbst, sondern etwas an ihr war anders. Er versuchte, sich weniger auf die Details zu konzentrieren, sondern die Gestalt als Ganzes zu erfassen. Da erkannte er, was ihn störte: Es war der Schmutz.
    Der Tote war schmutzig, der Normalzustand für einen Penner also. Aber Gesicht und Hände sahen aus, als wären sie absichtlich mit Dreck beschmiert worden. Ein Gedanke durchzuckte ihn, und sein Kopf fuhr hoch.
    »Was ist?« fragte Shannon und ging mit gerunzelten Brauen neben Marc in die Hocke. Er war ein schlaksiger junger Farbiger, tough und aufmerksam, der erst kürzlich zum Detective ernannt worden war und vor Interesse und Ehrgeiz nur so brannte.
    »Ich glaub, er war früher beim Militär.« Er begann die Leiche sorgfältig abzutasten, doch sämtliche Taschen waren leer.
    »Wie kommst du darauf?«
    »Na, sieh dir doch sein Gesicht und seine Hände an.«
    Shannon musterte den Toten. Er hatte selbst vier Jahre in der Army gedient, also besaß er einige Erfahrung.
    »Tarnung«, erklang es mit einigem Erstaunen. »Er hat sich vor jemandem zu verstecken versucht.«
    »Wahrscheinlich vor seinem Mörder.« Marc musterte sorgfältig den Gehsteig und die Straße vor und hinter ihnen. Alles im Viertel war alt, vom Zahn der Zeit angenagt, sozusagen. Ohne die Fernsehkameras mit ihren grellen Scheinwerfern wäre es ihm vielleicht entgangen, aber so war die Umgebung taghell erleuchtet. Dennoch waren die dunklen Flecken in etwa drei Metern Entfernung auf dem nassen Pflaster kaum zu erkennen.
    »Sieh dir das an.« Er erhob sich und trat an die betreffende Stelle. Shannon folgte ihm.
    »Noch mehr Blut«, kommentierte Shannon.
    »Yep, aber ich bezweifle, daß es von dem Toten stammt. Der Kopfschuß hat ihn sofort getötet; er hat nicht mal 'nen Fingerhut voll Blut verloren.«
    Shannon warf einen Blick über die Schulter auf den Toten. »Aber du hast doch gesagt, seine Waffe wäre nicht abgefeuert worden. Woher stammt dann dieses Blut hier?«
    »Hast du die Notizen der Streifenpolizisten gelesen?«
    »Sie haben vier Gehäuse gefunden, alle Kaliber zweiundzwanzig. Und der Tote hat wie viele Löcher?«
    »Eins. Aber es könnte doch sein, daß man viermal auf ihn geschossen und nur einmal getroffen hat.«
    »Er hatte ’ne Glock 17 im Hosenbund. Wenn jemand auf ihn geschossen und schon dreimal verfehlt hätte, glaubst du nicht, er hätte dann zumindest versucht zurückzuschießen? Er wäre sicher nicht einfach so dagestanden und hätte zugesehen, wie man dreimal auf ihn ballert, also muß er schon mit dem ersten oder spätestens dem zweiten Schuß erledigt worden sein; andernfalls hätte er ganz bestimmt Zeit zum Reagieren gehabt.«
    »Also haben wir zwei, vielleicht drei Schüsse, auf die wir uns keinen Reim machen können, und Blutflecken an einer anderen Stelle.«
    »Genau. Woraus folgt, daß, wer immer unseren Mann ausgeknipst hat, auch den unbekannten Blutspender auf dem Gewissen haben muß, ob der nun tot ist oder nicht. Vielleicht taucht ja woanders

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