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Vor Jahr und Tag

Titel: Vor Jahr und Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Howard
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sich gemächlich und riß sie damit aus ihrer Erstarrung.
    »Noch nicht«, stammelte sie hastig, und er lehnte sich geduldig an den Wagen.
    Karen warf einen Blick hinunter auf ihr Bein. Das zerrissene Strumpfbein warf Falten und sah schlimmer aus, als nackte Beine aussehen würden. Aus reiner Eitelkeit befolgte sie daher schließlich seinen Rat und schob amüsiert den Rock hoch. Hastig schälte sie sich aus der Strumpfhose, knüllte sie zusammen und stopfte sie in ihre Handtasche.
    Zu ihrer Überraschung stellte sie fest, daß sie sich sofort viel besser fühlte. Bei dieser Hitze und der unerträglichen Luftfeuchtigkeit war es wie eine Erlösung, die Nylonstrümpfe los zu sein, in denen sie von der Taille bis zu den Zehenspitzen gesteckt hatte, und die Haut atmen lassen zu können.
    Kaum daß sie sich wieder aufgerichtet hatte, ging er auch schon um den Wagen herum und machte die Tür für sie auf. Wieder berührte er sie, diesmal am Rücken, indem er ihr sanft in den Wagen hineinhalf. Aus dem Nichts überfiel sie eine heftige Sehnsucht, wieder seine Arme um sich zu spüren, den Schutz und Trost, den sie boten, und ihren Kopf wieder an seine Schulter zu legen. Eine solche Schwäche war ihr vollkommen fremd und entsetzte sie; ganz automatisch schüttelte sie das Gefühl ab und straffte die Schultern. Es stimmte, sie stand in letzter Zeit unter einem enormen Druck, da mochte es schon in Ordnung sein, sich für ein kleines Weilchen an seiner starken Schulter auszuruhen, aber eine Gewohnheit würde sie auf keinen Fall daraus machen.
    Er glitt hinters Steuer und warf ihr sein typisches Halblächeln zu, bei dem die Lachfältchen an seinen Augenwinkeln sichtbar wurden, er jedoch kaum den Mund kräuselte. Ein träges Lächeln, eins, das ihn beinahe... ja, sie war sich nicht sicher, was es eigentlich war.
    »Wenn ich’s mir recht überlege, es wird bald wieder zu regnen anfangen, also ist es sinnlos, im Viertel herumzuspazieren«, verkündete er. »Wir gehen zu mir nach Hause. Wir können uns mit einem Glas Wein auf den Balkon setzen und die Leute beobachten. Sie brauchen nicht allein in Ihrem Hotelzimmer herumzuhocken.«
    Ein Nachmittagsbummel und Dinner in einem Restaurant waren eine Sache, aber zu ihm nach Hause zu gehen war etwas ganz anderes. »Ich hab Ihnen schon viel zuviel Mühe -«, begann sie.
    »Keine Widerrede.«
    »Heute ist Ihr freier Tag, und ich -«
    »Ich sagte, keine Widerrede.«
    Der leichtfertige Ton, in dem er das sagte, hielt sie davon ab, entrüstet zu reagieren, er konnte sie jedoch nicht über seine Entschiedenheit hinwegtäuschen. Er hatte beschlossen, daß sie zu ihm nach Haus gingen, also gingen sie.
    Es liegt daran, daß er ein Cop ist, überlegte sie und ließ den Kopf erschöpft auf die Kopfstütze fallen. Wenn er einen Befehl gab, erwartete er Gehorsam. Ärzte waren genauso. Eine Schwester brauchte nicht damit einverstanden zu sein, solange sie ihn nur ausführte. Aber hier war sie nicht in der Arbeit. Und er auch nicht. Sie konnte ohne weiteres nein sagen. Das Problem war, daß sie gar nicht nein sagen wollte. Sie wollte auf seinem Balkon sitzen, ein Glas Wein trinken und die Leute beobachten. Das kam ihr so typisch für die Südstaaten, für New Orleans vor. Und sie wollte wirklich nicht allein in einem Hotelzimmer herumhocken.
    Sie sprachen kaum während der halbstündigen Fahrt zurück in die Stadt. Sie fühlte sich irgendwie entrückt, ja fast als würde sie träumen, und ihre Glieder waren wie Blei und doch schwerelos. Sie wußte, daß das eine Folge ihres emotionalen Zusammenbruchs war und auch die Erleichterung darüber, die Beerdigung glücklich überstanden zu haben, als hätte sie eine unglaubliche Anstrengung hinter sich und könne nun endlich ausruhen. Dieses Gefühl des Dahintreibens, des Schwebens war richtig angenehm.
    Sie merkte erst, daß er mitten im Viertel wohnte, als er den Wagen in die St. Louis Street lenkte. Bis dahin hatte sie gedacht, er nehme lediglich eine Abkürzung durch dieses Viertel, obwohl es ihr, wenn sie recht überlegte, ziemlich unlogisch vorkam. Warum sollte sich jemand durch die engen, verstopften Straßen des French Quarters zwängen, außer wenn er ins Viertel wollte? Er bremste herunter und drückte auf seinen ferngesteuerten Garagentoröffner, ein breites blaues Tor begann nach oben aufzugehen. Mit einem kühnen Schwung lenkte er den Wagen in die Garage, kaum daß das Tor hoch genug aufgegangen war, um sie um Haaresbreite hindurchzulassen. Karen

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