Vor Jahr und Tag
Diesmal erschauderte sie fast vor Freude.
Er rückte seine breiten Schultern bequemer auf dem Stuhl zurecht. »Nun, es wäre auch schwer gewesen, Mammuts zu jagen und sich dabei nicht nur mit den Speeren, sondern auch noch mit der Brut abzuschleppen.«
»Immer diese Ausflüchte. Ihr wollt euch ja bloß vor dem Babysitten drücken.« Der Rotwein ist gut, dachte sie. Normalerweise machte sie sich nichts aus Rotwein, aber der
hier besaß einen milden, runden Geschmack. Mit einem tiefen Seufzer der Zufriedenheit leerte sie ihr Glas und setzte es dann auf dem Tischchen ab.
Sie schwiegen eine Zeitlang. Die flirrende Hitze schien eine Unterhaltung überflüssig zu machen. Ein tiefes Donnergrollen kündigte den nächsten Regen an, und über der allmählich sinkenden Sonne ballten sich dunkelviolette Wolkenmassen zusammen. Marc trug das Tablett ins Haus, ließ den Teller mit Cookies jedoch stehen. Nach einigen Minuten tauchte er wieder auf. Von drinnen drang sanfte Musik heraus, ein träges Blues Instrumental. Alles hier ist irgendwie träge, dachte sie und schloß die Augen. Hektik wäre bei diesem Klima sowieso unmöglich.
»Noch etwas Wein?«
»Mmm, ja.«
»Dann essen Sie ein Cookie.«
»Sklaventreiber.« Aber sie lächelte, während sie sich ein Cookie nahm und hineinbiß. Der Geschmack explodierte auf ihrer Zunge. »Oooh, ist das gut«, stöhnte sie. »Was ist das?«
»Weiße Schokolade. Pecannüsse. Anderes Zeug. Ist meine Lieblingssorte.« Er aß eins mit sichtlichem Genuß, dann noch eins.
Was für eine seltsame Mischung er doch ist, überlegte sie amüsiert. Einerseits schien er einer alten Welt zu entstammen, andererseits war er jedoch der typische Amerikaner von heute. Er fühlte sich pudelwohl, wenn er in Jeans und T-Shirt in seinem großen Fernsehsessel in diesem herrlichen, alten Wohnzimmer lümmelte und sich irgendeine Sportsendung ansah. Und er war überdies ein Cop, was die Sache noch komplexer machte. Was für Qualitäten würde man wohl noch an ihm entdecken, wenn man ihn besser kennenlernte? Aber das spielte keine Rolle. Sie hatte gar
keine Zeit, das herauszufinden, denn sie flog morgen früh nach Hause. Ein seltsamer Stich durchfuhr sie.
Sie putzten den Teller mit Cookies leer und auch ihr zweites Glas Wein. Wieder grollte es drohend, schon etwas näher diesmal. Vereinzelte dicke Regentropfen klatschten aufs Pflaster, und die Touristen sahen sich eilig nach Deckung um. Innerhalb weniger Minuten lagen die Straßen verlassen da, und der Regen prasselte mit zunehmender Heftigkeit herunter. Es wurde rasch finster.
Karen war fast ein bißchen kalt, doch nur äußerlich, innerlich erfüllte sie ein warmes Glühen von dem Rotwein. Das traurige Klagelied eines Saxophons driftete von drinnen heraus und fand seinen Weg in ihre Seele. Sie schlang wehmütig die Arme umeinander.
»Tanzen Sie mit mir«, bat er leise und erhob sich, den Arm nach ihr ausgestreckt.
Sie stand auf und trat schweigend in seine Arme. Sie schloß die Augen, und ihr Kopf fand automatisch seinen Lieblingsplatz an seiner Schulter. Was kann perfekter sein, dachte sie, als sich barfuß auf einem Balkon in New Orleans im langsamen Foxtrott zu wiegen, während draußen der Regen herunterprasselt, die Dämmerung hereinbricht und einen wie in eine Decke einhüllt. Er war so herrlich warm, am liebsten wäre sie in ihn hineingekrochen, und sie ertappte sich dabei, wie sie sich tatsächlich näher an ihn herankuschelte. Erschrocken wollte sie schon zurückweichen, doch er hielt sie mit entschlossenem Druck fest, die Hand an ihrem Rücken, ja drängte sie sogar noch näher.
»Ist schon in Ordnung. Sie können sich ruhig an mich lehnen.« Seine Worte waren ein leises Murmeln, als wolle er den Zauber des Augenblicks nicht zerstören.
Also entspannte sie sich wieder, und das mit einer Bereitwilligkeit, die ihr fast ein schlechtes Gewissen bereitete.
Sie mißbrauchte ihn, mißbrauchte ihn schamlos, als Trost, als Stütze, als Lustobjekt. Ja, es war tatsächlich die reine Lust, mit ihm zu tanzen, in seinen starken Armen zu liegen, seine harte Brust zu spüren, die sanft ihre Brüste streifte, und seinen Waschbrettbauch, der sich an ihrem Bauch rieb, während sie sich zum hypnotischen Klagelied des Saxophons wiegten. Seine Schenkel streiften die ihren, und auch seine Füße berührten die ihren, gelegentlich fühlte sie sogar die harte Wölbung seiner Genitalien, obwohl sie das Gefühl hatte, daß er diesbezüglich vorsichtig war - wieder seine
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