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Vor meinen Augen

Vor meinen Augen

Titel: Vor meinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Kuipers
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Während der ganzen ersten Pause hatte ich das totale Panikgefühl. Rosa-Leigh hatte sich krankgemeldet. Megan und Abigail machten irgendein Projekt zusammen und waren auch nicht da. Mir blieb nichts anderes übrig, als mit Zara zu reden, und keiner von uns beiden fiel etwas ein, also erzählte ich ihr von Marks Herzinfarkt. Sie gab sich große Mühe, interessiert auszusehen.
    Während der Mittagspause kam dann ABIGAIL zu mir. Auch ohne aufzublicken merkte ich, dass sie neben mir stand. Sie hüstelte und sagte: »Hey, wie geht’s dir?«
    »Wieso fragst du?«
    »Weil wir Freundinnen sind.«
    Ich sah sie total verblüfft an. Nach dem Streit, den wir gehabt hatten, dachte ich nicht, dass wir uns je wieder versöhnen könnten. Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich überhaupt noch mit ihr befreundet sein will. Sie erwiderte meinen Blick nicht richtig, sondern sah eher an mir vorbei und trat dabei von einem Fuß auf den anderen.
    Sie sagte: »Zara hat mir das von Mark Haywood erzählt. Das ist wirklich schlimm. Wie geht es ihm denn?« Sie kennt die Haywoods, sie hat sie schon bei mir zu Hause getroffen.
    Mir wurde klar, dass sie sich nur aus einem Mitleidsgefühl heraus versöhnen wollte. Das war keine echte Entschuldigung, sondern eine Mitleidsentschuldigung. Noch nie war mir Abigail so fremd gewesen – nicht mal, als wir uns angeschrien hatten.
    Ich sagte: »Es geht ihm wieder gut. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.« Ich konnte nicht anders, als an all die furchtbaren Dinge zu denken, die sie bei unserem Streit gesagt hatte, und wie sie meinen Entschuldigungsbrief laut vorgelesen hatte, oder wie sie sich an Dan rangeschmissen hatte.
    »Gut, da bin ich froh«, sagte sie.
    »Ja, alles okay.«
    Plötzlich beugte sie sich nach vorne und umarmte mich, als ob wirklich alles in Ordnung wäre. Sie fühlte sich ziemlich knochig an, fast wie ein Vogel. Sie lud mich ein, mich zu ihr und den anderen zu setzen, was ich auch tat, dann fing sie an, über sich und Dan zu reden. Ich wurde ganz zittrig, weil ich sie wieder so hasste, obwohl sie ja gar nicht weiß, dass ich Dan mag. Ich krächzte irgendeine Entschuldigung, die Abigail gar nicht richtig hörte, denn sie war so total auf Dan hier, Dan da . Ich verließ den Tisch und lief draußen allein herum. Ich weiß, ich habe schon ewig nichts mehr von Dan gehört. Er ist anscheinend mit Abigail zusammen und ich sollte über ihn wegkommen, aber das mit ihm ist einfach etwas, woran ich immer denken muss, und ich kann auch nicht damit aufhören. Ich bin echt bescheuert.
    Weil es den ganzen Tag sonnig war, dachte ich, dass der Winter vielleicht endlich vorbei ist, aber als ich die Schule verließ, wurde es richtig kalt, und ich erfror fast, während ich auf den Bus wartete. Als ich zu Hause ankam, schrieb ich ein Prosagedicht über das Wort Tod . Das war wohl die Stimmung, in der ich war.
Tod, Todesengel  – Tintenblau, überall und nirgends, er bringt dich nach Hause und weg von zu Hause, dort im dunklen Tunnel wartet er, einsam und heiß wie Feuer, wie ein Entsorger – ein ENDsorger, wie der stickige Geruch von Schutt und Asche in der Hitze; und sein Warten endet nie, seine Geduld, sein leichtes, lässiges Lächeln, und er nimmt deine Hand und führt dich weg von mir und ich kann ihn nicht aufhalten, nicht diesen Tod, nicht diesen Todesengel, der in der Dunkelheit wartet wie ein verschleierter Tänzer, der nichts enthüllt, er nimmt dich langsam und dann immer schneller mit sich, und der Schmerz des Todes ist nichts, verglichen mit dem Geruch von Schutt und Asche in der Hitze.

Sonntag, 9. April
    Das Wochenende schleppte sich dahin, als watete ich in zähflüssigem Schlamm.

Montag, 10. April
    Die Haywoods riefen heute Morgen an, um uns zu sagen, dass es Mark schon viel besser geht. Vielleicht darf er sogar bald nach Hause. Mir ging es auch gleich viel besser, als ich das hörte.
    Während der Mittagspause blieben alle in der Schule und gingen in die Cafeteria, weil es regnete. Abigail war ganz okay, auch wenn es zwischen uns immer noch komisch ist. Zara brachte alle zum Lachen. Sogar Megan war nicht so nervig wie sonst. Kalila saß bei uns, wir plauderten, und ausnahmsweise war es für alle ziemlich cool.
    Megan schlug dann vor, ein Spiel zu spielen. Jede von uns sollte ein Blatt Papier nehmen und ihren Namen darauf schreiben. Das Papier mit unserem Namen würde dann herumgegeben werden und jede andere könnte über diese Person etwas aufschreiben, irgendwas.

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