Vor Vampiren wird gewarnt
dazusitzen und ihm bei der Arbeit zuzusehen; ja ich genoss es, Jason um mich zu haben. Michele war im Haus und bereitete einen Salat zu. Ich konnte sie ein Lied von Travis Tritt singen hören.
»Freut mich«, erwiderte ich, und das meinte ich ernst. Es war das erste Mal seit Monaten, dass mein Bruder und ich wieder privat miteinander zu tun hatten. Jason hatte seine eigene schlechte Zeit durchgemacht. Seine von ihm getrennt lebende Ehefrau und sein ungeborenes Kind waren auf furchtbare Weise umgekommen. Er hatte herausgefunden, dass sein bester Freund in ihn verliebt gewesen war, krankhaft verliebt. Doch während ich ihm jetzt so beim Grillen zusah und seine Freundin im Haus drinnen singen hörte, erkannte ich, dass Jason ein echter Überlebenskünstler war. Hier war er, mein Bruder: hatte wieder eine Freundin und freute sich darauf, gleich ein Steak zu essen und die Stampfkartoffeln, die ich mitgebracht hatte, und auch den Salat, den Michele gerade zubereitete. Ich konnte Jasons Entschlossenheit, das Leben zu genießen, nur bewundern. Mein Bruder war in vielerlei Hinsicht kein allzu gutes Vorbild, aber ich konnte wohl kaum mit dem Finger auf andere zeigen.
»Michele ist eine gute Frau«, sagte ich zu ihm.
Das war sie wirklich - wenn auch vielleicht nicht in dem Sinn, wie unsere Großmutter diesen Begriff benutzt hätte. Michele Schubert nahm kein Blatt vor den Mund und sprach absolut unverblümt über alles. Man konnte sie auch nicht in Verlegenheit bringen, denn sie hätte nie etwas getan, wozu sie nicht stand. Und nach demselben Prinzip völliger Offenheit handelte sie auch im Umgang mit anderen. Wenn Michele auf jemanden sauer war, erfuhr man es garantiert von ihr selbst. Sie war als Sekretärin für die Autowerkstatt des Ford-Händlers tätig, und es war ein Zeichen ihrer Effizienz, dass sie immer noch für ihren früheren Schwiegervater arbeitete. (Der hatte angeblich mal gesagt, dass er sie sogar noch etwas lieber mochte als seinen eigenen Sohn, an manchen Tagen jedenfalls.)
Michele kam auf die Terrasse heraus. Sie trug die Jeans und das Poloshirt mit Ford-Logo, die sie auch zur Arbeit trug. Ihr dunkles Haar war zu einem Knoten gebunden. Michele gefielen schweres Make-up, große Handtaschen und High Heels. Jetzt lief sie allerdings barfuß. »Hey, Sookie, magst du Ranch-Dressing?«, fragte sie. »Sonst haben wir auch Honigsenf.«
»Ranch ist prima«, erwiderte ich. »Brauchst du Hilfe?«
»Nee, alles bestens.« Micheles Handy fing an zu klingeln. »Verdammt, Paps Schubert schon wieder. Der Mann findet auch mit beiden Händen seinen Arsch nicht.«
Sie ging zurück ins Haus, das Handy am Ohr.
»Ich mache mir allerdings Sorgen, dass ich sie in Gefahr bringen könnte«, sagte Jason in dem zurückhaltenden Ton, den er anschlug, wenn er mich nach meiner Meinung zu etwas Übernatürlichem fragen wollte. »Ich meine ... dieser Elf, Dermot, der so aussieht wie ich. Weißt du, ob der noch in der Gegend ist?«
Er hatte sich zu mir umgedreht und lehnte jetzt am Geländer der Terrasse, die er an das Haus meiner Eltern angefügt hatte. Mom und Dad hatten es gebaut, als sie Jason erwarteten, konnten es aber nicht sehr viel länger als ein Jahrzehnt genießen. Sie waren gestorben, als ich sieben war. Und als Jason schließlich alt genug war, um allein zu wohnen - seiner Ansicht nach jedenfalls -, war er bei unserer Großmutter aus- und in dieses Haus eingezogen. Zwei, drei Jahre lang hatte er so manche wilde Party gefeiert, doch mit der Zeit war er ruhiger geworden. Heute Abend war sehr deutlich zu erkennen, dass seine jüngsten Verluste ihn noch weiter ernüchtert hatten.
Ich nahm einen Schluck aus meiner Flasche. Normalerweise trank ich nicht viel - ich sah bei der Arbeit zu viel übermäßigen Alkoholkonsum -, doch es war einfach unmöglich, an einem so schönen Abend ein kaltes Bier abzulehnen. »Ich würde auch gern wissen, wo Dermot ist«, sagte ich. Dermot war der zweieiige Zwillingsbruder von Fintan, der unser Großvater und ein Halbelf gewesen war. »Niall hat sich mit all den anderen Elfen, die sich ihm anschließen wollten, in die Elfenwelt zurückgezogen und diese versiegelt. Und ich kann nur beten, dass Dermot bei ihm in der Elfenwelt ist. Claude ist hiergeblieben. Ich habe ihn vor zwei Wochen getroffen.« Niall war unser Urgroßvater, und Claude war sein Enkel aus Nialls Ehe mit einer anderen vollblütigen Elfe.
»Claude, der Stripper.«
»Der Besitzer eines Strip-Clubs, der nur am Damenabend selbst
Weitere Kostenlose Bücher