Vorerst gescheitert – Wie Karl-Theodor zu Guttenberg seinen Fall und seine Zukunft sieht
Lebenssituation?
Ohne Frage. Mich interessiert die Forschungsarbeit des Think-Tanks, und ich freue mich auf die Möglichkeit, mich intensiv mit Themen zu befassen, für die ich in der Vergangenheit viel zu wenig Zeit gefunden habe. Und weil ich dort neben der Leitung eines eigenen Programms eine gute Plattform habe, um zu schreiben. Nicht um abzuschreiben, sondern um zu schreiben …
Womit befassen Sie sich im Moment?
Ich beschäftige mich erstens intensiv mit den evidenten Machtverschiebungen auf der Welt; und damit, wie man derzeit auf beiden Seiten des Atlantiks daran scheitert, den neuen globalen Herausforderungen langfristig zu begegnen. Und mich fasziniert zweitens, und zwar aus meiner eigenen politischen Erfahrung heraus, die erschütternde Unkenntnis bis in die politischen Spitzen hinein, was die Mechanismen, Regeln und Abläufe internationaler Kapitalströme anbelangt. Diese Unkenntnis herrscht übrigens auch in der deutschen Medienlandschaft vor. Das finanzpolitische Feld ist hochkomplex und es gehen so unfassbar viele Erklärungstürchen |152| gleichzeitig auf, wenn man sich nur einen Schritt weiter vorwagt und sich substanziell damit befasst.
Gilt das für Deutschland ebenso wie für die Vereinigten Staaten?
Ja, auch in den USA hat man leider immer wieder das Problem, dass der Bevölkerung in Krisenzeiten das Gefühl vermittelt wird, als wisse die Politik Bescheid. Und ich kann aus meinen Erfahrungen heraus nur sagen, sie wusste ebenfalls nicht hinreichend Bescheid.
Sie würden also sagen: Es gibt Aufgaben und Krisen nie gekannten Ausmaßes, aber Politiker und Journalisten haben im Großen und Ganzen keine Ahnung?
Ja, in beiden Berufen lässt der Zeitdruck es kaum noch zu, sich wirklich tiefgreifend mit Problemen zu befassen. Sehen Sie sich doch die Qualität einzelner Äußerungen und Kommentare an. Und auch bestimmte ökonomische Modelle, die sich in den letzten Jahrzehnten durchgesetzt haben, geraten an die Grenzen ihrer intellektuellen Belastbarkeit. Die neoklassische Ökonomielehre, die nicht nur die gesamte Ostküste der USA und die wesentlichen Zentralbanken beherrscht, steht vor den Trümmern ihrer eigenen Behauptungen. Wie geht man nicht nur mit Griechenland um? Wie reguliert man Finanzmärkte? Wie weit darf man dabei gehen? Solche Fragestellungen werden von einem sogenannten Neoklassiker oft mit einer scheinbar allgemeingültigen Theorie vom Tisch gewischt, aber man müsste diese Fragestellungen zwingend differenzierter behandeln. Die neoklassischen Theorien haben sich von der Wirklichkeit abgelöst. Es ist sehr spannend, die Auseinandersetzung darüber mitzuverfolgen, die jetzt wieder beginnt.
|153| Unglaubliche Krisen, unglaubliche Probleme …
… unglaubliches Geschwätz!
Was genau verstehen Sie unter einem Neoklassiker?
Nur kursorisch: Ein Neoklassiker glaubt fest daran, dass das Verfolgen privater Eigeninteressen die Voraussetzung für eine bessere Gesellschaft ist und auf staatliche Eingriffe möglichst verzichtet werden sollte. Daran ist zunächst wenig auszusetzen, ebenso wie an der Betonung der Wirkkräfte freier Märkte, solange das nicht zum Dogma erklärt wird. Dies ist aber geschehen und hält dem Praxistest nicht stand. Viele neoklassische Vorhersagen sind schlicht nicht eingetroffen. Haben wir etwa mehr und stabileres Wirtschaftswachstum in den Ländern, die sich nahezu sklavisch dieser Theorie unterworfen haben? Kann diese Theorie die ostasiatischen Wirtschaftsentwicklungen in den letzten Jahrzehnten hinreichend erklären? Viele Gedanken dieser Theorie sind alles andere als falsch, sie dürfen allerdings nicht an der idealsten aller Welten ausgerichtet werden; hierin liegt ein grundlegender Denkfehler zahlreicher Neoklassiker. Es ist heute ein weit vielschichtigeres, eben differenziertes Herangehen geboten, die Akzeptanz von Realitäten, die dem Wunschdenken widersprechen.
Und wie können sich Politiker Wissen aneignen, und vor allem: Wie können sie daraus die richtigen Handlungen ableiten?
Wissen kann man sich im Zweifel dann aneignen, wenn man die Kunst der einfachen Frage nicht verlernt hat. Es gilt die Zusammenhänge zu erfragen. Wir brauchen allerdings auch aktuelle und belastbare empirische Arbeiten. Was sind zum Beispiel die Spielregeln im internationalen Kapital- und Währungsverkehr? Wer entwirft |154| diese Regeln? Was sind die tatsächlich bestimmenden Faktoren auf den Finanzmärkten? Da werden viele mit den Schultern zucken. Aber wir brauchen
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