Vorkosigan 11 Spiegeltanz
dir.«
Mark trat in den Pavillon und wartete, bis sich seine Augen auf die Dunkelheit eingestellt hatten. Da war die übliche Steinbank, darauf Ivan als sitzender Schatten. Ivan reichte ihm die schimmernde Flasche, und Mark füllte sein Glas bis zum Rand. Zu spät bemerkte er, daß Ivan nicht Wein trank, sondern eine Art Brandy.
Der zufällig entstandene Cocktail schmeckte abscheulich. Mark setzte sich neben die Stufen, lehnte sich mit dem Rücken an einen Steinpfosten und stellte sein Glas beiseite. Ivan hatte auf die Formalität eines Glases verzichtet.
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»Schaffst du es zurück zu deinem Bodenwagen?«, fragte Mark mit gewissen Zweifeln.
»Das habe ich nicht vor. Das Personal der Residenz wird mich am Morgen rauskarren, wenn sie den übrigen Abfall aufsammeln.«
»Ach so.« Sein Nachtsehvermögen wurde immer besser. Er
konnte die glitzernden Teile von Ivans Uniform und das Schimmern seiner blankpolierten Stiefel erkennen. Den Widerschein des Lichtes in seinen Augen. Die feuchten Spuren, die auf seinen Wangen glänzten. »Ivan …«, Mark biß sich auf die Zunge, als er weinst du? fragen wollte, statt dessen sagte er: »… alles in Ordnung?«
»Ich habe«, verkündete Ivan mit Nachdruck, »beschlossen, mich schwer zu besaufen.«
»Das sehe ich. Warum?«
»Ich hab's noch nie getan, an Kaisers Geburtstag. Es ist eine traditionelle Herausforderung, etwa wie hier zu vögeln.«
»Tun die Leute das?«
»Manchmal. Als Mutprobe.«
»Wie unterhaltsam für den Sicherheitsdienst.«
Ivan lachte prustend. »Ja, da hast du recht.«
»Und wer hat dich denn herausgefordert?«
»Niemand.«
Mark merkte, daß ihm die sondierenden Fragen schneller ausgehen würden als Ivan die einsilbigen Antworten.
Doch Ivan begann im Dunkeln zu reden. »Miles und ich, wir haben diese Party immer zusammen durchgestanden, fast jedes Jahr. Ich war überrascht … wie sehr mir diesmal die boshaften politischen Kommentare fehlen, die der kleine Trottel immer von sich gegeben hat. Er hat mich immer zum Lachen gebracht.« Ivan 405
lachte. Es war ein hohles und unfröhliches Geräusch. Er hörte abrupt auf.
»Man hat dir davon erzählt, daß die Kryokammer leer gefunden wurde, nicht wahr?«
»Ja.«
»Wann?«
»Vor ein paar Tagen. Seitdem denke ich darüber nach. Es steht nicht gut.«
»Nein.« Mark zögerte. Ivan zitterte in der Dunkelheit. »Möchtest du … heimgehen und dich ins Bett legen?« Ich auf jeden Fall.
»Jetzt schaffe ich es nicht mehr den Hang hinauf«, sagte Ivan mit einem Achselzucken.
»Ich gebe dir die Hand. Oder eine Schulter.«
»… In Ordnung.«
Es brauchte etwas Hin und Her, aber er hievte Ivan auf dessen schwankenden Beine, und sie navigierten sich durch den steilen Garten zurück nach oben. Mark wußte nicht, welcher mitfühlende Schutzengel vom Sicherheitsdienst die Meldung durchgegeben hatte, aber oben wurden sie nicht von Ivans Mutter, sondern von seiner Tante erwartet.
»Er ist … äh …« Mark wußte nicht, was er sagen sollte. Ivan guckte mit getrübten Augen umher.
»Das sehe ich«, sagte die Gräfin.
»Können wir einen Gefolgsmann erübrigen, damit er ihn heimfährt?« Ivan sackte zusammen, und Marks Knie gaben nach.
»Lieber zwei Gefolgsleute.«
»Ja.« Die Gräfin drückte auf eine dekorative Kommunikator-Brosche an ihrem Mieder. »Pym …?«
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Ivan wurde ihm abgenommen, und Mark atmete erleichtert auf.
Seine Erleichterung wuchs sich zu offener Dankbarkeit aus, als die Gräfin bemerkte, es sei auch für sie beide Zeit zum Gehen. Wenige Minuten später kam Pym mit dem Bodenwagen des Grafen zum Eingang, und die Qual des Abends war vorüber.
Während sie zu Palais Vorkosigan zurückfuhren, redete die Gräfin nur wenig. Sie lehnte sich auf ihrem Sitz zurück und schloß erschöpft die Augen. Sie fragte ihn nicht einmal etwas.
In der schwarz-weiß gefliesten Vorhalle reichte die Gräfin einem Dienstmädchen ihren Mantel und steuerte nach links, auf die Bibliothek zu.
»Entschuldige mich, Mark. Ich rufe im Militärkrankenhaus an.«
Sie sah so müde aus. »Man hätte Sie sicher angerufen, Madame, wenn es eine Veränderung im Zustand des Grafen gegeben hätte.«
»Ich rufe im Militärkrankenhaus an«, sagte sie kategorisch. Sie hatte ganz kleine Augen. »Geh zu Bett, Mark.«
Er stritt sich nicht mit ihr und trottete müde die Treppe zu dem Korridor hinauf, an dem sein Schlafzimmer lag.
Vor der Tür zu seinem Zimmer blieb er stehen. Es war sehr spät in der Nacht. Der Korridor war
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