Vorkosigan 11 Spiegeltanz
Ryoval zu lassen, anstatt ihn an einen strenger gesicherten Ort zu bringen.«
»Vielleicht«, räumte sie ein.
»Wir müssen zu Fell gehen.«
»Wie? Wir können nicht einmal dieses Zimmer verlassen!«
»Das Zimmer verlassen, ja, wir müssen das Zimmer verlassen.
Aber wir müssen vielleicht nicht das Haus verlassen. Wenn einer von uns beiden bloß für ein paar ungestörte Minuten an eine Komkonsole ran könnte. Um Fell anzurufen, um irgend jemanden anzurufen, um die Welt wissen zu lassen, daß Vasa Luigi uns hat.
Das würde die Dinge in Bewegung bringen.«
»Ruf Lilly an«, sagte Rowan hartnäckig, »nicht Fell.«
Ich brauche Fell. Lilly kann nicht bei Ryoval einbrechen. Er erwog die unbehagliche Möglichkeit, daß er und die Duro583
na-Gruppe vielleicht entgegensetzte Absichten haben könnten. Er wollte, daß Fell ihm einen Gefallen tat, und Lilly wollte Fell entkommen. Jedoch – man würde nicht viel anbieten müssen, um Fell für einen Überfall auf Ryoval zu interessieren. Ersatz der Auslagen für Material, und den Profit in altem Haß. Ja.
Er ging ins Bad und starrte sein Spiegelbild an. Wer bin ich? Ein magerer, hagerer, bleicher, seltsam aussehender kleiner Mann mit verzweifelten Augen und einer Neigung zu quasi-epileptischen Anfällen. Wenn er wenigstens entscheiden könnte, welcher von beiden sein Klonzwilling war, den er gestern so schmerzlich erblickt hatte, dann könnte er sich nach dem Verfahren der Elimination den anderen nennen. Für ihn hatte der Bursche wie Naismith ausgesehen. Aber Vasa Luigi war kein Narr, und Vasa Luigi war vom Gegenteil überzeugt. Er mußte der eine oder der andere sein. Warum konnte er es nicht entscheiden? Falls ich Naismith bin, warum hat dann mein Bruder meinen Platz beansprucht?
In diesem Augenblick entdeckte er, warum man es eine Kaskade nannte.
Die Empfindung war, als befände man sich unter einem Wasserfall, unter einem Fluß, der einen ganzen Kontinent ausleerte, Tonnen von Wasser peitschten ihn auf die Knie. Er stieß ein leises Wimmern aus, kauerte sich nieder und schlang die Arme um den Kopf. Stechende Schmerzen meldeten sich hinter seinen Augen, Schrecken schnürte ihm die Kehle zu. Er preßte die Lippen zusammen, um zu verhindern, daß ihm irgendein anderer Laut entschlüpfte und Rowan mit all ihren Sorgen aufmerksam machte.
Dafür mußte er allein sein, o ja.
Kein Wunder, daß ich nicht darauf kommen konnte. Ich hatte versucht, zwischen zwei falschen Antworten zu wählen. O Mutter.
O Papa. O Sergeant Bothari. Euer Junge hat das hier schlimm 584
vermasselt. Echt schlimm. Leutnant Lord Miles Naismith Vorkosigan kroch auf den gefliesten Boden und schrie schweigend, nur ein schwaches Zischen entwich ihm. Nein, nein, nein, o Scheiße …
Elli …
Bei, Elena, Taura …
Mark … Mark? Dieser korpulente, finster blickende, beherrschte, entschlossene Kerl war Mark gewesen?
Er konnte sich an nichts erinnern, das mit seinem Tod zusammenhing. Er berührte ängstlich seine Brust und fuhr die Spuren nach, die … welches Ereignis dort hinterlassen hatte? Er kniff die Augen zu und versuchte sich an das zu erinnern, was sich zum Schluß ereignet hatte. Der Überfall auf Bharaputras chirurgische Einrichtung auf dem Planeten, ja. Mark hatte eine Katastrophe herbeigeführt, Mark und Bel zusammen, und er war hinuntergeflogen und hatte versucht, all ihre Kastanien aus dem Feuer zu holen. Ein größenwahnsinniger Einfall, Mark übertreffen zu wollen, ihm zeigen zu wollen, wie es die Experten machten, diese Klonkinder von Vasa Luigi zu befreien, der ihn beleidigt hatte …
sie heim zu Mutter zu nehmen. Verdammt, was weiß meine Mutter inzwischen über die ganze Geschichte? Nichts, so hoffte er inständig. Sie waren alle noch hier auf Jackson's Whole, irgendwie.
Wie lang war er tot gewesen …?
Wo, zum Teufel, ist der Kaiserliche Sicherheitsdienst?
Abgesehen natürlich von dem Mitglied, das hier im Bad auf dem Boden herumrollt.
Au, au, au …
Und Elli. Kennen wir uns, Madame? hatte er gefragt. Er hätte sich die Zunge abbeißen sollen.
Rowan … Elli. Es ergab einen Sinn, auf eine seltsame Weise.
Seine Geliebte war eine große, braunäugige, dunkelhaarige, reali585
stisch denkende, intelligente Frau. Das erste, was sich seinen verwirrten erwachenden Sinnen präsentiert hatte, war eine große, braunäugige, dunkelhaarige, realistisch denkende, intelligente Frau gewesen. Es handelte sich also um ein sehr natürliches Versehen.
Er fragte sich, ob Elli ihm
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