Vorkosigan 12 Viren des Vergessens
servierten das Essen; das Gespräch begann – nicht überraschend – mit einigen Allgemeinplätzen über komarranische Angelegenheiten. Es nahm allerdings eine fast unmittelbare scharfe Linkskurve, als Gregor und Laisa Familien-und Kindheitserinnerungen verglichen; beide waren Einzelkinder, eine Tatsache, die sie spannend und vieler vergleichender Analysen wert zu finden schienen. Miles hatte das starke Empfinden, in Teil oder vielleicht sogar Teil einer fortlaufenden Serie geraten zu sein. Seine eigene Rolle schien sich darauf zu beschränken, gelegentlich bestätigendes Gemurmel über Vorfälle von sich zu geben, die in ferner Vergangenheit stattgefunden hatten und an die er sich kaum noch erinnerte. Alys, die normalerweise sehr gesprächig war, sagte fast ebenso wenig. Gregor bemühte sich, Laisa auszufragen, doch sie behauptete ihre Position, indem sie sanft auf einem Punkt-für-Punkt-Austausch von Informationen be stand. Soviel wie Gregor jetzt an einem Stück sprach, hatte Miles ihn schon lange nicht mehr reden hören.
Als die Cremetörtchen aufgetragen wurden, zusammen mit einem Angebot fünf verschiedener Arten von Kaffee und Tee zum Nachtisch, sagte Gregor schüchtern: »Ich habe eine kleine Überraschung für Sie vorbereitet, Laisa.« Er machte eine verstohlene Handbewegung zur Seite, ein offensichtlich vorher vereinbartes Signal, das sofort von einem aufmerksamen Livrierten aufgenommen wurde, der prompt hinter den Büschen verschwand. »Sie sagten, Sie hätten noch nie ein Pferd gesehen, außer in Vids. Das Pferd ist ein solches Symbol der Vor, daß ich dachte, Sie würden gern einmal eines reiten.« Auf dieses Stichwort hin kehrte der Livrierte zurück und führte die prächtigste kleine Schimmelstute herbei, die Miles in seinem ganzen Leben gesehen hatte. Nicht einmal in den Stallungen seines Großvaters mit den teuren Rassepferden hatte es so etwas gegeben. Große Augen, zierliche Füße … die Hufe waren schwarzpoliert, in die lange silbrige Mähne und den wehenden Schweif waren scharlachrote Bänder geflochten, die zum Satteltuch paßten, ganz zu schweigen von der scharlachroten, bestickten Leine, die am vergoldeten Zaumzeug befestigt war.
»Du meine Güte!« Laisa hatte es schier den Atem verschlagen, als sie das Tier beäugte. »Darf ich es tätscheln? Aber ich habe keine Ahnung, wie man reitet!« »Aber natürlich.« Gregor geleitete sie zur Flanke der Stute.
Laisa lachte, als ihre Hände den glänzenden Hals berührten und durch die schimmernde Mähne fuhren. Die Stute schloß ihre friedlichen Augen halb, als sie diese verdienten Aufmerksamkeiten ruhig entgegennahm. »Ich werde sie selbst führen«, sagte Gregor. »Nur im Schritt. Sie ist sehr sanft.« Nach Miles’ Urteil war die Stute eigentlich schon fast schläfrig. Gregor ging offensichtlich kein Risiko ein, daß ein unangenehmer Reitunfall seine Show verderben könnte.
Unschlüssig und fasziniert zugleich gab Laisa Laute von sich, die bedeuteten: Bitte, überreden Sie mich dazu. Miles beugte sich zu Lady Alys und fragte flüsternd: »Wo hat denn Gregor dieses Pferd gefunden?« »Drei Distrikte entfernt«, erwiderte sie leise. »Gestern wurde es in die Stallungen der Residenz eingeflogen. Mit der detaillierten Planung dieses Essens treibt Gregor sein Haushaltspersonal schon seit vier Tagen zur Verzweiflung.« »Ich helfe Ihnen aufsteigen«, fuhr Gregor fort, während der Pferdeknecht die bestickte Leine hielt. »Hier, ich zeige Ihnen wie.
Sie beugen Ihr Bein, und ich nehme es in die hohle Hand …« Es brauchte drei Versuche mit sehr viel Gelächter, bis Laisa oben saß. Falls Gregor versucht haben sollte, sie verstohlen zu berühren, so war ihm das mit erstaunlichem savoir faire gelungen. Sie setzte sich in dem samtgepolsterten Sattel zurecht und wirkte dabei erfreut, befangen und ein wenig stolz auf sich selbst.
Gregor nahm dem Pferdeknecht die Leine ab, winkte ihn fort und führte unter Worten und Gesten Pferd und Reiterin zu einer Tour über die Gartenpfade.
Mit großen Augen nahm Miles einen großen Schluck heißen Tee. »Also, Tante Alys … spielst du hier Baba oder was?« »Es sieht allmählich so aus«, sagte sie trocken und folgte mit den Blicken der vornehmen kleinen Kavalkade.
»Wann ist es passiert?« »Ich bin mir nicht ganz sicher. Ich habe mich umgeblickt, und … da war es plötzlich. Seitdem muß ich rennen, um Schritt zu halten.« »Aber Alys … eine Komarranerin als Kaiserin?« Es mußte eine Kaiserin sein, was
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