Vorkosigan 12 Viren des Vergessens
eine Stunde früher zu kommen, zu einer persönlichen Besprechung. Ich würde das als ›wünscht deine Anwesenheit‹ statt nur ›lädt ein‹ deuten, wenn ich du wäre. So habe ich es zumindest zwischen den Zeilen gelesen, obwohl er freundlich war, wie er manchmal ist, du weißt es ja.
R.s.v.p sofort, sobald du diese Nachricht bekommst. Bitte.« Sie schaltete ab.
Miles beugte sich vor und lehnte die Stirn auf den kühlen Rand der Komkonsole. Er hatte gewußt, dieser Augenblick mußte kommen. Das gehörte dazu, wenn er sich entschloß weiterzuleben. Gregor gab ihm die Gelegenheit, sich formell zu entschuldigen. Sie mußten früher oder später die Atmosphäre klären. Miles würde sich noch lange Zeit in Vorbarr Sultana aufhalten, und wenn auch nur eines Tages als Graf seines Distrikts. Er wünschte sich, er könnte seine Entschuldigung noch auf die alte, archaische Weise des Bauchaufschlitzens darbringen. In absentia. Es wäre leichter und weniger schmerzvoll gewesen.
Warum haben sie mich nicht einfach beim ersten Mal tot sein lassen?
Er seufzte, richtete sich auf und tippte Lady Alys’ Nummer in den Kommunikator ein.
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KAPITEL 9
Graf Vorkosigans gepanzerter Bodenwagen senkte sich seufzend auf das Pflaster unter dem östlichen Säulengang der kaiserlichen Residenz. Martin schaute nervös über die Schultern zurück auf das Tor, um das sich die gestikulierenden Wachen drängten.
»Sind Sie sicher, daß das in Ordnung geht, Mylord?« »Machen Sie sich keine Sorgen«, erwiderte Miles, der auf dem Beifahrersitz saß. »Ich wette, die haben dieses Stückchen Schmiedeeisen wieder gerade gebogen und neu angestrichen, bevor ich wieder zum Abholen bereit bin.« Martin ließ das Verdeck hochgehen oder suchte zumindest tapfer auf dem schimmernden Armaturenbrett nach dem entsprechenden Knopf. Miles zeigte ihn ihm. »Danke«, murmelte Martin.
Das Verdeck ging auf; Miles war mit dem Leben davongekommen. »Martin … ich sage Ihnen etwas. Während ich da drinnen beschäftigt bin, nehmen Sie doch diese Barkasse und drehen ein paar Übungsrunden durch die Stadt.« Er steckte den Kommunikator des Bodenwagens in die Tasche. »Ich rufe Sie zurück, wenn ich Sie brauche. Falls Sie ein Problem« – er vermied das Wort ›verursachen‹ – »haben, rufen Sie mich an … ach nein.« Miles vermutete, daß er in Kürze um eine Unterbrechung seines bevorstehenden Gesprächs mit Gregor beten würde, aber es wäre Betrug, sie schon vorher zu arrangieren. »Rufen Sie diese Nummer an.« Er beugte sich hinüber und tippte einen Code in die kunstvoll gearbeitete Konsole des Wagens. »Damit erreichen Sie einen sehr kompetenten Herrn namens Tsipis, einen netten Kerl, der Ihnen sagen wird, was Sie tun sollen.« »Jawohl, Mylord.« »Passen Sie auf, mit was für einem Schwung Sie unterwegs sind! Dieses Biest hat mehr Wucht drauf, als Sie glauben. Die Hochleistungsbrennstoff-Zellen tragen zur Masse fast so viel bei wie die Panzerung. Da täuscht man sich leicht in der Bedienung.
Fahren Sie irgendwo hinaus, wo Sie viel Platz haben und experimentieren Sie damit, damit Sie nicht noch einmal eine Überraschung erleben.« »Äh … danke, Sir.« Das Verdeck schloß sich zischend. Durch die polarisierte Halbverspiegelung sah Miles, wie Martin konzentriert an seiner Unterlippe saugte, während der Wagen sich hob und erneut vorwärts bewegte. Die silberglänzende linke Hinterkante des Wagens war unbeschädigt, stellte Miles ohne Überraschung fest. Noch ein Lehrling, ach ja. Wenn er seinen Kopf beisammen gehabt hätte, dann hätte er den Jungen die ganze letzte Woche zum Üben schicken und diese kleine Peinlichkeit mit Gregors Tor vermeiden können. Aber Martin würde es schon schaffen, sobald er genügend Erfahrung gesammelt hatte, und umso besser wäre es, wenn er bei seinen Übungsfahrten nicht die entnervende Anwesenheit dieses kleinen Lords, seines neuen Arbeitgebers, neben sich hatte.
Einer der livrierten Diener der Residenz empfing Miles an der Tür und geleitete ihn zum Nordflügel; sie begaben sich also zu Gregors Privatbüro. Der Nordflügel war der einzige Teil der wuchernden kaiserlichen Residenz, der weniger als zweihundert Jahre alt war. Er war im Bürgerkrieg um den Usurpator Vordarian, im Jahr von Miles’ durch Soltoxingas geschädigter Geburt, niedergebrannt und anschließend wieder aufgebaut worden. Das Büro des Kaisers im Erdgeschoß war einer von Gregors wenigen wirklich privaten und persönlichen Räumen. Die Ausstattung
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