Vorkosigan 12 Viren des Vergessens
viel zu tun, wenn man nach der Zahl von Gebirgsbewohnern geht, die nach Vorbarr Sultana kommen und dort Arbeit suchen«, sagte Martin. »Wir machen Witze über sie. Wie zum Beispiel: Wie nennt man ein Mädchen aus den Dendarii-Bergen, das schneller laufen kann als seine Brüder? – Jungfrau.« Martin gluckste.
Miles jedoch nicht. In der Kabine des Leichtfliegers wurde es ausgesprochen kühl. Martin warf einen Seitenblick und schrumpfte auf seinem Sitz zusammen. »Tut mir leid, Mylord«, murmelte er.
»Den habe ich schon gehört. Ich habe sie alle gehört.« Tatsächlich hatten die Gefolgsleute seines Vaters, die alle aus dem Distrikt stammten, die Gewohnheit gehabt, sich solche Witze auszudenken, aber das war irgendwie etwas anderes. Einige von ihnen waren selbst Leute aus den Bergen gewesen, und es hatte ihnen nicht an witzigen Einfällen gefehlt. »Es stimmt, daß die Leute aus den Dendarii-Bergen viel weniger Vorfahren haben als ihr Faulpelze aus Vorbarr Sultana, aber das liegt daran, daß sie es nicht fertiggebracht hatten, sich im Bett herumzuwälzen und sich den Cetagandanern zu ergeben.« Eine leichte Übertreibung: die Cetagandaner hatten das Tiefland besetzt, wo sie praktische Ziele für die Männer aus den Bergen abgegeben hatten, die – angeführt von dem schrecklich jungen General Graf Piotr Vorkosigan – über sie hergefallen waren. Die Cetagandaner hätten ihre Frontlinie fünfzig Kilometer zurückverlegen sollen, anstatt zu versuchen, sie hinauf in die tückischen Berge zu schieben. Der Distrikt der Vorkosigans war in der Folge hinter anderen Distrikten zurückgeblieben, weil er zu den vom Krieg am schlimmsten heimgesuchten auf ganz Barrayar gehört hatte.
Tja … vor zwei Generationen war das eine gute Entschuldigung gewesen, sogar noch vor einer Generation. Aber heutzutage?
Das Imperium pflückt uns Vorkosigans aus unserem Distrikt und verbraucht uns und ersetzt nie, was es borgt. Und dann macht es Witze, daß wir verarmt sind. Seltsam … bis jetzt hatte er den eifrigen Dienst seiner Familie noch nicht als verborgene Steuer auf den Distrikt angesehen.
Miles wartete zehn Minuten länger, als er ursprünglich vorgehabt hatte, dann sagte er: »Schwenken Sie hier nach Süden. Fliegen Sie jedoch noch tausend Meter höher.« »Jawohl, Mylord.« Der Leichtflieger machte eine Kurve nach rechts. Nach einigen weiteren Minuten entdeckte sie der automatische Leitstrahlsender am Boden und schickte ihnen über den Kommunikator der Leichtflieger ein Standardgeblöke, eine aufgezeichnete Stimme, die intonierte: »Warnung. Sie fliegen in einen Bereich hoher radioaktiver Strahlung ein …« Martin erbleichte. »Mylord? Soll ich in dieser Richtung weiterfliegen?« »Ja. In dieser Höhe ist es okay. Doch es ist schon Jahre her, seit ich über die Mitte des Ödlandes geflogen bin. Es ist immer interessant nachzuschauen, wie die Dinge dort unten vorangehen.« Viele Kilometer weit hinten war das Ackerland dem Waldland gewichen. Jetzt wurde das Waldland spärlicher, die Farben seltsamer und grauer, dürr und verwüstet in einigen Gebieten, seltsam dicht in anderen. »Mir gehört fast alles davon, wissen Sie«, fuhr Miles fort und blickte hinab. »Ich meine, mir persönlich.
Nicht als Redewendung, weil mein Vater der Graf des Distrikts ist. Mein Großvater hat es mir vererbt. Nicht meinem Vater, wie den größten Teil unserer Besitztümer. Ich habe mich immer gefragt, was für eine Art Botschaft das für mich sein sollte.« Verwüstetes Land für einen beschädigten Nachkommen, ein Kommentar auf seine frühkindlichen Behinderungen? Oder die resignierte Erkenntnis, daß das Leben des Grafen Aral seinen Lauf nehmen würde, lange bevor das von den Explosionen verwüstete Land sich erholte? »Ich habe noch nie einen Fuß darauf gesetzt. Ich habe vor, mir einmal einen Strahlenschutzanzug anzuziehen und es zu besuchen, irgendwann, wenn ich schon Kinder habe. Es heißt, dort drunten gebe es einige sehr seltsame Pflanzen und Tiere.« »Dort gibt es keine Menschen, oder?«, sagte Martin und starrte mit spürbarem Unbehagen nach unten. Ohne daß Miles etwas sagte, stieg er ein paar hundert Meter höher.
»Ein paar illegale Siedler und Banditen, die nicht erwarten, so lange zu leben, bis sie Krebs oder Kinder bekommen. Die Di striktswächter stöbern sie von Zeit zu Zeit auf und treiben sie hinaus. An manchen Stellen sieht es täuschend erholt aus. Tatsächlich ist seit meiner Geburt in manchen Gebieten die Radioaktivität
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