Vorkosigan 12 Viren des Vergessens
landen, hier in diesem kleinen Tal, genau oberhalb dieser engen Flußgabelung. Eigentlich handelt es sich um einen Friedhof. Dort dürfte es genug Platz zwischen den Bäumen geben, um den Leichtflieger zu landen. Oder zumindest gab es den Platz, als ich das letzte Mal dort oben war. Es ist eine schöne Stelle, neben dem Flüßchen. Die Sonne scheint durch die Bäume herab … vielleicht hätte ich einen Picknickkorb einpacken sollen. Zu Fuß sind es von hier vier Ta ge, oder zweieinhalb Tage mit dem Pferd. Oder weniger als eine Stunde mit dem Leichtflieger.« Martin nickte und gab Gas; sie stiegen über den Hügelrücken auf und schwenkten nach Südosten. »Ich wette, ich könnte Sie noch schneller dorthin bringen«, schlug Martin vor.
»Nein …« »Fliegen wir wieder die lange Route?« Miles zögerte. Jetzt, wo er in der Luft war, ließ der Drang nach und wurde von einer Angst ersetzt, die langsam in ihn eindrang.
Und du hast gedacht, sich beim Kaiser zu entschuldigen sei schwer. »Ja. Ich habe vor, Ihnen ein paar Tatsachen über Abwinde in den Bergen und ihren Einfluß auf Leichtflieger zu zeigen.
Fliegen Sie hier nach Südwest, auf diese Gipfel zu.« »Sehr wohl, Sir«, erwiderte Martin und praktizierte damit den Stil eines Dieners von einem Vor-Lord, so gut er konnte, doch er machte den Effekt gleich danach zunichte, indem er anfügte: »Das ist viel besser als noch so eine Reitstunde.« Martin und Ninny waren nicht so gut miteinander ausgekommen, wie Miles erwartet hatte. Martin gab Leichtfliegern sichtlich den Vorzug vor Pferden.
Es folgte eine Stunde voll interessanter Momente in der Dendarii-Schlucht und in ihrer Umgebung. Selbst Martin, der Stadtjunge, war von der Großartigkeit des Ortes beeindruckt, wie Miles erfreut feststellte. Sie flogen beträchtlich langsamer, als er und Ivan jemals geflogen waren; die Lektionen machten aus ihrem Frühstück nur ein mildes Unbehagen, nicht einen unmittelbaren Notfall. Doch schließlich fielen Miles keine Verzögerungen mehr ein, und sie schwenkten wieder genau nach Osten.
»Was gibt’s denn in diesem Silvy-Tal?«, fragte Martin.
»Freunde? Eine schöne Gegend?« »Nicht … so sehr. Als ich ungefähr so alt war wie Ihr Bruder – ich hatte genaugenommen gerade meine Ausbildung an der Kaiserlichen Militärakademie absolviert –, halste mir mein Vater etwas auf, das heißt: er beauftragte mich, seine Stimme in einem Fall zu sein, der vor das Gericht des Grafen gebracht worden war.
Er schickte mich nach Silvy-Tal hinauf, um einen Mord zu untersuchen und ein Urteil zu fällen. Eine Kindstörung wegen einer Mutation, noch ganz auf die alte traditionelle Art.« Martin zog ein Gesicht. »Gebirgsbewohner«, bemerkte er voller Abscheu.
»Mm. Es stellte sich heraus, daß die Sache komplizierter war, als ich gedacht hatte, selbst nachdem es mir gelungen war, die wahre Verdächtigte anzuklagen. Das kleine Mädchen – es war ein vier Tage altes kleines Mädchen, das man getötet hatte, weil es mit einer Hasenscharte zu Welt gekommen war –, sein Name war Raina Csurik. Inzwischen wäre sie fast zehn Jahre alt, wenn sie überlebt hätte. Ich möchte mit ihr reden.« Martin zog die Augenbrauen hoch. »Reden Sie oft mit … äh … Toten, Mylord?« »Manchmal.« Martin verzog die Lippen zu einem unsicheren Lächeln, das bedeutete: hoffentlich ist das nur Scherz. »Antworten die Toten auch?« »Manchmal … was, reden Sie nie mit Toten?« »Ich kenne keine. Außer Ihnen, Mylord«, schränkte Martin ein.
»Ich war nur eine potentielle Leiche.« Lassen Sie sich Zeit, Martin. Ihr Bekanntenkreis wird sich im Laufe der Zeit sicher erweitern. Miles kannte eine Menge toter Leute.
Doch selbst auf dieser langen Liste nahm Raina eine besondere Stellung ein. Nachdem er den ganzen imperialen Pomp und Unsinn abgestreift, alle Ambitionen auf Beförderung aufgegeben hatte und durch all die idiotischen Vorschriften und dunklen häßlichen Winkel des Militärlebens gewatet war … jetzt, wo es kein Spiel mehr war, wo die Dinge wirklich und wirklich beängstigend wurden, wenn damit Menschenleben und Seelen ebenfalls im Blitzentsorger verschwanden … da war Raina das einzige Symbol seines Dienstes, das noch einen Sinn ergab. Miles hatte das schreckliche Gefühl, daß er in letzter Zeit in all dem Durcheinander irgendwie auch den Kontakt zu Raina verloren hatte.
Hatte er sich so sehr hineingesteigert, Naismith zu spielen und das Spiel zu gewinnen, daß er vergessen hatte, wofür er
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