Vorkosigan 12 Viren des Vergessens
gehörte das Gebäude ihm. Miles kletterte aus dem Leichtflieger und blieb einen Moment lang unsicher stehen, schaute zu dem Mann empor, überlegte sich Erklärungen für sein Erscheinen und war insgeheim froh über Martins massige Gestalt. Vielleicht hätte er einen trainierten Leibwächter mitbringen sollen.
Doch das Gesicht des Fremden erhellte sich; er erkannte Miles wieder und rief aufgeregt: »Lord Vorkosigan!« Dann kam er von der Veranda herabgerannt, zwei Stufen auf einmal, und schritt auf ihn zu, die Hände zum Gruß ausgestreckt und übers ganze Gesicht lächelnd. »Großartig, Sie wiederzusehen!« Sein Lächeln verflog. »Es ist doch nichts Schlimmes geschehen, hoffe ich?« Nun, dieser Mann erinnerte sich an Miles wegen des Urteils, daß er vor fast einem Jahrzehnt gefällt hatte. »Nein, das ist ein rein privater Besuch«, erklärte Miles, als der andere ihn erreicht hatte und seine Hand schüttelte. »Nichts Offizielles.« Der Bärtige trat zurück, schaute auf Miles’ Gesicht herab und sein Lächeln wurde zu einem verschmitzten Grinsen. »Wissen Sie nicht mehr, wer ich bin?« »Äh …« »Ich bin Zed Karal.« »Zed?« Zed Karal, der mittlere Sohn des Sprechers Karal, war zwölf Jahre alt gewesen … Miles rechnete schnell im Kopf.
Zweiundzwanzig, ungefähr. Ja. »Als ich Sie letztesmal sah, waren Sie kleiner als ich.« »Na ja, meine Mama war eine gute Köchin.« »Tatsächlich, ich erinnere mich.« Miles zögerte. »War? Sind Ihre Eltern … äh …« »Oh, es geht ihnen gut. Sie sind bloß zur Zeit nicht hier. Mein älterer Bruder hat ein Mädchen aus dem Tiefland, aus Seligrad, geheiratet und ist dorthin umgezogen, um dort zu arbeiten und zu leben. Mama und Papa gehen den Winter über zu ihnen hinunter, weil die Winter hier oben für sie allmählich zu hart werden. Mama hilft ihnen bei den Kindern.« »Ist … Karal also nicht mehr der Sprecher vom Silvy-Tal?« »Nein, wir haben seit etwa zwei Jahren einen neuen Sprecher.
Ein junges As voller progressiver Ideen, die er während seiner Zeit in Hassadar aufgeschnappt hat, genau Ihr Typ. Ich glaube, Sie werden sich noch gut an ihn erinnern. Er heißt Lern Csurik.« Zeds Lächeln wurde breiter.
»Oh!« erwiderte Miles. Zum ersten Mal an diesem Tag erschien ein Lächeln auf seinen Lippen. »Wirklich. Ich … würde ihn gerne mal sehen.« »Ich bringe Sie gleich zu ihm, wenn Sie mich mitfliegen lassen.
Wahrscheinlich arbeitet er heute an der Klinik. Sie werden nicht wissen, wo das ist. Sie ist brandneu. Einen Augenblick bitte.« Zed sauste zurück in die Hütte, um etwas in Ordnung zu bringen, und seine Gangart erinnerte an den einstigen Zwölfjährigen. Miles kam es vor, als müßte er mit dem Kopf gegen das Verdeck des Leichtfliegers stoßen, um sein Gehirn, in dem sich alles drehte, wieder in Gang zu bringen.
Zed kehrte zurück, kletterte auf den Rücksitz des Leichtfliegers und gab Martin eine Reihe von Anweisungen vermischt mit stän digen Kommentaren, während sie in die Luft stiegen und den nächsten Hügelrücken überflogen. Er ließ sie etwa zwei Kilometer entfernt vor dem aufragenden Balkenwerk eines sechs Zimmer großen Gebäudes landen, dem größten Bauwerk, das Miles je im Silvy-Tal gesehen hatte. Stromleitungen führten zu ihm hin und speisten ein Gestell mit Energiezellen-Ladegeräten für stromgetriebenes Werkzeug. Ein halbes Dutzend Männer hielt in der Arbeit inne und beobachtete, wie sie landeten.
Zed kletterte aus dem Flieger und winkte. »Lern, hallo, Lern!
Du wirst nicht draufkommen, wer hier ist!« Miles folgte ihm zum Gebäude; Martin blieb am Steuer sitzen und beobachtete verwundert die Szene.
»Mylord!« Lern Csurik erkannte ihn ebenfalls auf der Stelle, aber Miles’ Erscheinung war ja … nun, unverkennbar. Miles seinerseits hätte vielleicht nach einem Moment des Musterns Lern aus der Gruppe herausfinden können. Er war immer noch der drahtige Bergbewohner von ungefähr Miles’ Alter, wie ihn Miles in Erinnerung hatte, allerdings offensichtlich viel glücklicher als an jenem Tag vor zehn Jahren, als er zu Unrecht des Mordes beschuldigt worden war; er sah sogar noch selbstbewußter aus als seinerzeit, als Miles ihn vor sechs Jahren kurz in Hassadar getroffen hatte. Lern streckte ihm ebenfalls beide Hände zum Gruß entgegen.
»Sprecher Csurik. Meine Gratulation«, begrüßte ihn Miles.
»Wie ich sehe, sind Sie eifrig gewesen.« »Oh, Sie wissen noch nicht einmal die Hälfte, Mylord! Kommen Sie und schauen Sie!
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