Vorkosigan 15 Ein friedlicher Angriffsplan
kletterte hinaus und schaute zu der mit Mustern verzierten Backsteinfassade des dreistöckigen Wohnsitzes seines Kollegen empor.
Georg Vorthys war dreißig Jahre lang Professor für
Analyse technischer Störfälle an der Kaiserlichen
Universität gewesen. Er und seine Frau hatten den größten Teil ihrer Ehe in diesem Haus gewohnt, drei Kinder großgezogen und zwei akademische Karrieren absolviert, bevor Kaiser Gregor Professor Vorthys zu einem seiner sorgfältig ausgewählten Auditoren ernannt hatte. Weder der Professor noch seine Frau hatten in der Tatsache, dass dem im Ruhestand lebenden Ingenieurwissenschaftler die Ehrfurcht gebietenden Machtbefugnisse einer Stimme des Kaisers verliehen worden waren, einen Grund dafür gesehen, ihren unprätentiösen Lebensstil zu ändern; Madame Dr. Vorthys ging immer noch jeden Tag zu Fuß zu ihren Vorlesungen. Du meine Güte, nein. Miles!. hatte die Professora geäußert, als er einmal laut darüber nachgedacht hatte, dass sie diese Gelegenheit zur gesellschaftlichen Zurschaustellung ungenutzt vorübergehen ließen. Können Sie sich vorstellen, was es bedeutet, mit all diesen Büchern umzuziehen? Ganz zu schweigen von dem Labor und der Werkstatt, die den gesamten Souterrainbereich in Beschlag nahmen.
Ihre fröhliche Standhaftigkeit erwies sich als glückliche Fügung, als die beiden ihre seit kurzem verwitwete Nichte und deren kleinen Sohn einluden, bei ihnen zu wohnen, während sie ihre eigene Ausbildung abschloss. Wir haben genügend Platz, hatte der Professor vergnügt gedröhnt, das - 10 -
oberste Geschoss steht leer, seit die Kinder ausgezogen sind. Von hier aus ist die Universität nicht weit, hatte die Professora, praktisch denkend, hinzugefügt. Weniger als sechs Kilometer vom Palais Vorkosigan entfernt!. hatte Miles insgeheim gejubelt und dabei höflich Worte der Ermunterung gemurmelt. Und so hatte Ekaterin Nile Vorvayne Vorsoisson sich hier niedergelassen. Sie wohnt hier, sie wohnt hier! Vielleicht schaute sie just im Augenblick aus einem der dunklen Fenster des Obergeschosses zu ihm herab?
Miles blickte besorgt an seiner allzu kleinen Statur hinunter. Wenn sein Zwergenwuchs ihr in irgendeiner Weise Probleme bereitete, so hatte sie zumindest bis jetzt keine Anzeichen dafür gezeigt. So weit, so gut. Und was die Aspekte seiner Erscheinung anging, die er beeinflussen konnte: Seine schlichte graue Jacke wies keine Essensflecke auf, kein peinlicher Straßenkot hing an den Sohlen seiner blitzblanken Halbstiefel. Er überprüfte sein verzerrtes Spiegelbild in der rückwärtigen Verglasung des Bodenwagens. Die konvexe Spiegelung verbreiterte seinen mageren, leicht buckligen Körper zu einer Gestalt, die seinem beleibten Klonbruder Mark ähnelte. Spröde verdrängte er den Vergleich. Mark war – Gott sei Dank! – nicht zugegen. Miles versuchte probeweise zu lächeln; in der Spiegelung wirkte es verzerrt und nicht gerade einnehmend.
»Sie sehen wirklich gut aus. Mylord«. ließ sich Pym in einem aufmunternden Ton von vorn vernehmen. Miles errötete und wandte sich schnell von seinem Spiegelbild ab. Immerhin fasste er sich so weit, dass er das - 11 -
Blumengesteck und die zusammengerollte Folie, die Pym ihm reichte, mit einer – wie er hoffte – erträglich ausdruckslosen Miene entgegennahm. Er schob das Geschenk in seinen Armen zurecht, wandte sich der
Vordertreppe zu und holte tief Luft.
Nach etwa einer Minute fragte Pym hilfsbereit von
hinten: »Soll ich Ihnen etwas abnehmen?«
»Nein, danke.« Miles schritt die Stufen hinauf und
drückte mit einem freien Finger auf die Summertaste. Pym holte einen Handleser heraus und machte es sich im Bodenwagen bequem, um zu warten, bis es seinem Herrn gefallen würde zurückzukommen.
Aus dem Haus waren Schritte zu hören, die Tür ging
auf. und es erschien das lächelnde rosige Gesicht der Professora. Ihr graues Haar war in der üblichen Weise auf ihrem Kopf hochgewickelt. Sie trug ein dunkelrosa Kleid mit einem hellrosa Bolero, beides bestickt mit grünen Weinranken in der Art ihres Heimatbezirks. Im Kontrast zu dieser etwas formellen Vor-Kleidung. die den Gedanken nahe legte, sie sei entweder gerade nach Hause gekommen oder wolle gleich ausgehen, trug sie an den Füßen weiche Hausschuhe. »Hallo, Miles. Du meine Güte, Sie sind aber pünktlich.«
»Guten Tag, Professora.« Miles nickte ihr zu und
erwiderte ihr Lächeln. »Ist sie da? Ist sie zu Hause? Geht es ihr gut? Sie haben doch gesagt, dies wäre eine gute
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