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Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Titel: Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Scharnigg
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gelegentlich hinter den vorgehaltenen Händen hervor. Nur eine kam, gab allen die Hand und fragte, ob sie durch die Kamera sehen dürfte und warum die Herren denn um Himmels willen ausgerechnet vor einem Beet mit fast verblühtem Rittersporn ihre Ansage machten. Das war keinem aufgefallen, auch Max nicht, der doch eigentlich auf solches achten sollte. Zum Dank lud er sie zum Abendessen ein, was ganz und gar nicht in den Schulregeln vorgesehen war. Aber sie trat zum vereinbarten Zeitpunkt aus einer kleinen, grünen Tür in einer Ziegelmauer, die den Park der Schule im Westen von der Straße abgrenzte.
    Linda trug ein Kleid in der Farbe von Glockenblumen, und es war etwas an ihr, das Max an Pildau denken ließ, vielleicht der leise Geruch nach frischer Erde an ihren Fingern. Sie aßen sehr schlecht in einer kleinen Dorfschänke, aber das machte nichts. Das ist eine Frau, dachte Max danach, die alles hat, was es nicht in Büchern gibt, und diese Erkenntnis war zu seiner Verwunderung ein richtiger Schmerz, denn er wusste erst jetzt mit Sicherheit, dass es noch ein ganz anderes Schön gab. Eines, von dem er so viel gelesen, das er aber immer falsch sortiert hatte, als eine Regung unter vielen anderen Regungen, eine Laune, der man sich von Zeit zu Zeit so hingibt, aber das war es nicht. Es war das eine Schön, das alles vereinte, was sich nicht genau ausrechnen ließ, das keine Formel fasste und kein philosophischer Ansatz ganz aufschlüsselte. Ihm hieß es fortan Linda, aber niemand im ganzen Universum wusste, wie es ihr heißen würde, und diese Unsicherheit stellte ihn in den Tagen nach ihrem ersten Treffen ganz neben sich, er ließ Bücher nach der ersten Seite liegen, sah nichts in den Auslagen der Geschäfte und vergaß das eine oder andere sogar. Zu seiner großen Überraschung stellte sich nach einigen Wochen und Briefen aber heraus, dass Lindas Schön wohl auf den Namen Max Honigbrod hörte.
    Sie verlobten sich zwei Tage nach seinem dreiunddreißigsten Geburtstag, ohne großes Aufhebens davon zu machen. Max besuchte Lindas Familie erst danach, die einiges auf sich und ihren Namen hielt. Ihre Leute kamen dem verlegenen jungen Mann mit seinen Kordhosen und dem roten Pullover recht wohlwollend entgegen, obgleich sie ihn schon im Fernsehen gesehen hatten, was für nicht ganz ideal galt. Max ließ sich bei der BBC in ein Büro setzen, sie nahmen ein Häuschen im Stadtteil Hampstead zur Miete, und Linda hatte nach hinten hin sogar einen Garten. Sie machte eine Ausbildung zur Dolmetscherin, hatte aber nie vor, so zu arbeiten, sie mochte nur Sprachen und war darin außerordentlich begabt. Abends hörten sie mit einem modernen Weltempfänger Sender, die auf Spanisch sendeten, später kamen auch Franzosen und Italiener dazu, und während sich Max Notizen machte und seine Sendungen und sein erstes Buch vorbereitete, ging Linda mit flachen Schuhen noch mal in den Garten und sah nach der Minze und den Klettergurken, die kletterten nicht.
    Es war alles richtig, alles fügte sich für einen, der immer so aussah, als wäre er kurz davor zu lachen. Als Linda schwanger wurde, kam Max in seine produktivste Phase, es war fast, als müsste er vor der Geburt seines Sohnes alles ordnen, was die Welt an Unklarheiten übrig gelassen hatte, aber das war selbst für Max Honigbrod zu viel. Sie würden in dem Haus wohnen bleiben, Max würde noch mehr bei der BBC arbeiten, damit sie Geld hatten und irgendwann Reisen machen konnten. Das war es, was ihm noch fehlte. Er hatte die Briefe von Ludwig Honigbrod aus Amerika, seine nüchternen Schilderungen von Rolltreppen und Coca-Cola, und genau so, dachte Max, müsste man durch alle Länder reisen, mit dem klaren Blick eines Zivilisationsforschers, der jede Eigenheit der Völker bemerkte und festhielt, denn es war eine bemerkenswerte Zeit, in der sie lebten, man würde irgendwann diese Epoche in einem Roman festhalten müssen, genau wie es die Schreiber der Antike in regelmäßigen Abständen getan hatten, und wer weiß, vielleicht war es seine Aufgabe, genau das zu tun? Sie würden also reisen, mit dem Kind und der Schreibmaschine, Max würde für die BBC Berichte und Aufnahmen machen, und Linda könnte all ihre Sprachen sprechen, und sein Sohn, sein ausgezeichneter Sohn, würde von Beginn an ein Weltbürger und Gentleman sein, ein Vielgereister, der sein erstes Wort zwischen allen Ozeanen sagte. So wäre es richtig, dachte Max Honigbrod, und er dachte es immer noch, als er in dem Saal stand, in

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