Vorsaison
lang wachsen zu lassen. Mein Ex würde nach seinem Unfall körperlich noch
für längere Zeit nicht in der Lage sein, mich aufzusuchen, geschweige denn, mir
nachzustellen. Aber ich hoffte auch, dass er mit der Zeit darüber hinweg kommen
würde und mich in Ruhe ließ. Zum ersten Mal hatte ich nun auch etwas Geld auf
meinem Konto, weil ich es nicht wie früher bei ihm hatte abliefern müssen — und
ich verdiente nun natürlich auch mehr. Ich hatte geplant spätestens im März
nach Lloret umzusiedeln, wollte aber vorher sicher sein, dass ich dann auch
einen Job dort hätte. Vorzugsweise natürlich an der Rezeption eines Hotels,
aber zur Not oder vorübergehend hätte ich auch die Zimmer geputzt oder
gekellnert. Also rief ich an einem Samstagabend Ernie im „Hollywood“ an. Neben
dem Disco-Pub „Moby’s“, war das „Hollywood“ die einzige Discothek in Lloret,
die ganzjährig jede Nacht geöffnet hatte. Wenn auch im Winter nur bis 4.00 Uhr
statt bis 5.00 Uhr. Allerdings arbeitete Ernie im Winter nur an den Wochenenden.
Mittlerweile traute ich mir auch schon zu, auf Spanisch nach Ernie zu fragen
und verstand sogar die Frage, die daraufhin folgte, wer denn am Apparat sei?
>>Sabrina<<, sagte ich. >>Soy
una amiga- ich bin eine Freundin.<<
Es war der Kassierer des „Hollywood“,
den ich zuerst ans Telefon bekam. Ich erkannte ihn an seiner Stimme. Ernie
hatte mir auch bewusst die Nummer der Tür und nicht die des Büros
gegeben. Nachdem der Kassierer dann Ernie geholt hatte, erzählte ich ihm, dass
ich im Januar nochmals gerne für eine Woche nach Lloret kommen würde, um mir
einen Job zu suchen. Ich telefonierte von Sonjas Wohnung aus und wollte auch
nicht zu viel small talk machen, denn damals waren Auslands-gespräche noch
richtig teuer. Angesichts meiner finanziellen Lage, immerhin wollte ich auch
nicht ganz ohne Geld nach Spanien auswandern und musste sparen, hatte ich Ernie
gefragt, ob ich die Woche im Januar nicht bei ihm übernachten könnte. Sein
Appartement hatte drei Schlafzimmer und ich glaubte mich daran zu erinnern,
dass er mal erwähnt hatte, dort im Winter aber meist alleine zu wohnen. Seine
Untermieter, alles Saisonarbeiter, verließen Lloret mit Einbruch des Winters. Ernie
war sogleich einverstanden gewesen und hatte gemeint, dass ich solange bei ihm
wohnen könnte, wie ich wollte. Und was einen Job anging, so sollte ich mir mal
keine Sorgen machen. — Er würde seine Fühler schon mal für mich ausstrecken und
ein Job sei auch überhaupt kein Problem. Dann erzählte er mir von einer
gewissen Corinna, die ich unbedingt kennenlernen müsste. Sie sei auch Deutsche,
lebe aber schon seit über einem Jahr in Lloret und er habe sie kurz nach meiner
Abreise kennengelernt. Sie hätte auch einen Job gefunden und deshalb würde auch
ich etwas finden.
Ich hatte Ernie aus guten Gründen im
September weder eine Telefonnummer noch eine Adresse gegeben, wo er mich hätte
erreichen können. Doch ich hatte ihm so einiges über meine private Lage zu Hause
erzählt und auch, dass ich vorhatte, meinen Freund zu verlassen. Dass dann aber
alles so schnell gehen würde, hatte ich bei meinem letzten Gespräch mit Ernie jedoch
auch noch nicht erahnen können. Aber mein letztes Gespräch mit Ernie hatte auch
circa eine Stunde, bevor Renée mir begegnet war stattgefunden und gehörte deshalb
gefühlsmäßig mittlerweile einem anderen Zeitalter an. Von Renée wusste Ernie
demnach auch nichts. Denn zum Zeitpunkt unserer Begegnung hatte Ernie das
„Hollywood“ schon längst verlassen gehabt. Durch die Begegnung mit Renée hatte ich
jedoch plötzlich die Kraft gefunden, endlich Nägel mit Köpfen zu machen — unabhängig
davon, ob ich nun genug Geld für einen Neuanfang haben würde! Früher hatte ich
immer nur davon geträumt, meinen Freund zu verlassen und es dann aufgeschoben,
mit der Begründung, noch in der Lehre zu sein oder auch nicht genug Geld zu
haben. Nun kam mir dies wie eine faule Ausrede vor. Meinen Freund zu verlassen, das war der Neuanfang — unabhängig davon, wie es danach weitergehen
würde! Irgendein Stimmchen meldete sich bei diesen Gedanken nun immer in mir
und kicherte: So gesehen könnte man auch sagen, Renée hat dich wachgevögelt! Viele Jahre später war ich mir jedoch sicher, das was Renée wirklich getan
hatte, war mir zu helfen mein eigenes Selbstbewusstsein wiederzufinden. Ernie
hatte jedenfalls schon fast nicht mehr damit gerechnet, dass ich mich nochmal
melden würde. So erzählte
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