Vorsatz und Begierde (German Edition)
in einem Ballett mittanzen, plumpste auf die Matratze, rollte sich auf den Rücken, steckte die Finger in den Mund und begann geräuschvoll schmatzend an ihnen zu saugen. Bald würde ihm diese Ersatzhandlung nicht mehr genügen. Theresa schwang die Beine über die Bettkante, zögerte einen Moment, um festzustellen, ob Arme und Beine ihr gehorchten, und trat ans Kinderbettchen, wo sie das Seitenteil herunterklappte und Anthony in die Arme nahm. Sie würde ihn unten auf dem Küchentisch windeln und ihn hernach in seinem Kinderstühlchen festschnallen, so daß er ihr zusehen konnte, wie sie seine Milch erwärmte. Wenn er abgefüttert war, würden die Zwillinge sicherlich wach sein. Dann konnte sie ihnen beim Anziehen helfen. Bald würde Mrs. Hunter von der Fürsorge kommen, um sie abzuholen und zum Kinderhort zu fahren. Theresa würde mit ihrem Vater frühstücken, bevor es Zeit wurde, mit ihm und Anthony zur Straßenkreuzung zu gehen, wo sie der Schulbus abholen würde.
Sie löschte eben die Gasflamme unter dem Stieltopf mit Milch, als das Telephon läutete. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus und begann dann in einem schnelleren Rhythmus zu pochen. Sie griff nach dem Hörer und hoffte nur, daß sie rasch genug reagiert und das Läuten ihren Vater nicht geweckt hatte. Sie hörte George Jagos Stimme, die verschwörerisch und vor Erregung etwas heiser klang.
»Theresa, ist dein Vater schon auf?«
»Nein, noch nicht, Mr. Jago. Er schläft noch.«
Stille trat ein, als würde er nachdenken. Dann sagte er:
»Auch recht, dann störe ihn nicht. Wenn er aufwacht, sag ihm, daß Hilary Robarts tot ist. Gestern abend ist es passiert. Sie wurde ermordet. Man hat sie am Strand gefunden.«
»Hat der Whistler sie umgebracht?«
»Sieht so aus. Das heißt, sollte so aussehen, wenn du mich fragst. Aber so kann es nicht gewesen sein. Denn der Whistler war da schon tot, mindestens drei Stunden schon. Ich hab’s dir ja gestern abend mitgeteilt. Erinnerst du dich?«
»Ja, ich erinnere mich, Mr. Jago.«
»Gut, daß ich gestern abend angerufen habe, nicht? Du hast es doch deinem Vater gesagt, oder? Du hast doch deinem Vater das vom Whistler berichtet?«
Sie hörte aus seiner Stimme Besorgnis heraus. »Ja«, sagte sie.
»Ich hab’s ihm erzählt.«
»Dann ist’s gut. Jetzt erzählst du ihm das mit Miss Robarts. Sag ihm, er soll mich anrufen. Ich muß ein paar Leute nach Ipswich fahren. Aber um 12 bin ich wieder zurück. Oder könnte ich ihn jetzt sprechen, wenn er sich etwas beeilt?«
»Er kann sich nicht beeilen, Mr. Jago. Er schläft ja noch. Und ich füttere gerade Anthony.«
»Na gut. Aber du richtest es ihm aus, ja?«
»Ja, ich sage es ihm.«
»Gut, daß ich gestern abend angerufen habe«, fügte er noch hinzu. »Er weiß schon, warum.«
Sie legte auf. Ihre Hände waren schweißfeucht. Sie wischte sie am Nachthemd ab und trat an den Herd. Aber als sie den Milchtopf hochhob, zitterten ihre Hände so heftig, daß sie befürchtete, sie würde die Milch nie in den engen Hals der Babyflasche gießen können. Sie hielt sie vorsichtshalber über das Spülbecken, wo es ihr mühsam gelang, das Fläschchen zur Hälfte zu füllen. Dann band sie Anthony los und setzte sich auf den niedrigen Stuhl vor dem Kamin. Als Anthony sein Mündchen öffnete, schob sie den Sauger hinein und sah zu, wie er sofort genüßlich zu nuckeln begann, die ausdruckslosen Augen auf sie gerichtet, die rundlichen Ärmchen hochgereckt, die Hände nach innen gedreht wie die Pfötchen eines Tieres.
Im selben Moment hörte sie das Knarzen der Treppe. Ihr Vater kam herein. Morgens zeigte er sich ihr nie ohne seinen alten Regenmantel, den er immer bis zum Hals zuknöpfte und als Schlafrock verwandte. Das Gesicht unter dem schlafzerzausten Haar war grau und verquollen. Die Lippen waren hektisch gerötet.
»Hat jemand angerufen?« fragte er.
»Ja, Daddy. Mr. Jago.«
»Was wollte er um diese Zeit?«
»Er rief an, um dir zu sagen, daß Hilary Robarts tot ist. Sie ist ermordet worden.«
Sicherlich fiel ihm auf, daß ihre Stimme anders klang. Sie hatte das Gefühl, ihre Lippen seien trocken, angeschwollen, unförmig. Sie beugte sich über Anthony, damit ihr Vater es nicht sehen konnte. Aber ihr Vater schaute sie gar nicht an. Er drehte ihr den Rücken zu und sagte: »Das muß der Whistler gewesen sein, nicht? Er hat sie erwischt. Na ja, sie wollte es ja nicht anders.«
»Nein, Daddy. Das kann nicht der Whistler gewesen sein. Erinnere dich doch! Mr. Jago
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