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Vorsatz und Begierde (German Edition)

Vorsatz und Begierde (German Edition)

Titel: Vorsatz und Begierde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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den Tisch und senkte den Kopf.
    Theresa glaubte ihn flüstern zu hören: »Ich bin kein guter Vater; ich bin dir kein guter Vater.« Sein Gesicht konnte sie nicht sehen. Einen schrecklichen Augenblick lang dachte sie, er weinte. Sie stand auf – dabei hielt sie das Fläschchen und fütterte Anthony – und trat dicht neben ihn. »Ist schon gut, Daddy«, sagte sie. »Mach dir nur keine Sorgen. Es wird alles wieder gut werden.«

26
    Am Montag, dem 26. September, hatte Jonathan Reeves die Schicht von 8 Uhr 15 bis 14 Uhr 45. Wie sonst auch war er rechtzeitig an seinem Arbeitsplatz. Aber erst um 8 Uhr 55 läutete das Telephon, und er vernahm endlich die ersehnte Stimme. Caroline sprach beherrscht, aber das, was sie sagte, klang dringend.
    »Ich muß mit dir reden. Jetzt gleich. Kannst du weg?«
    »Ich denke schon. Mr. Hammond ist noch nicht da.«
    »Dann treffen wir uns in der Bibliothek. Sofort. Es ist wichtig, Jonathan.«
    Das brauchte sie ihm nicht eigens zu sagen. Sie hätte sich mit ihm während der Arbeitszeit gewiß nicht treffen wollen, wenn es nicht wichtig gewesen wäre.
    Die Bibliothek war im Verwaltungstrakt neben der Registratur untergebracht und diente als Aufenthaltsraum. Drei Wände waren von Bücherregalen verdeckt. Hinzu kamen noch zwei freistehende Regale und acht bequeme Sessel, die um niedrige Tische gruppiert waren. Caroline erwartete ihn bereits, als er eintrat. Sie blätterte am Zeitschriftenstand in der neuesten Ausgabe von Nature. Sonst war niemand zu sehen. Als er sich ihr näherte, überlegte er, ob sie wohl erwartete, daß er sie küßte. Doch als sie sich ihm zudrehte und ihn anschaute, war ihm klar, daß es ein Fehler gewesen wäre. Dabei war es ihr erstes Zusammentreffen seit Freitag abend, seit jener Nacht, die sein Leben verändert hatte; sie brauchten sich doch nicht wie Fremde zu verhalten, wenn sie sich ungestört wiedersahen.
    »Du wolltest mir was mitteilen«, sagte er schlicht.
    »In ein paar Minuten. Es ist gleich 9. Wenn Gottvater seine Stimme ertönen läßt, muß alles still sein.«
    Jonathan hob den Kopf. Ihre Ausdrucksweise befremdete ihn, als hätte sie etwas Unflätiges gesagt. Über Dr. Mair hatten sie sich bisher nur oberflächlich unterhalten, aber er war immer davon ausgegangen, daß sie den Chef bewunderte, daß sie glücklich war, seine persönliche Assistentin zu sein. Er erinnerte sich, daß Hilary Robarts einmal, als Caroline sich während einer Konferenz neben Alex Mair setzte, geflüstert hatte: »Schaut nur, da kommt Gottvaters rechte Hand!« So war sie von allen eingeschätzt worden – als die intelligente, verschwiegene, hübsche, pflichteifrige Gehilfin eines Mannes, dem sie hingebungsvoll diente, weil er ihres Engagements würdig war.
    Der Lautsprecher begann zu knacken. Sie hörten im Hintergrund unverständliches Gemurmel, und dann begann Dr. Mair ernst und gemessen zu sprechen.
    »Es gibt wohl keinen unter uns, der mittlerweile nicht erfahren hat, daß Hilary Robarts gestern abend am Strand tot aufgefunden wurde. Sie ist ermordet worden. Zunächst nahm man an, daß sie in Larksoken das zweite Opfer des Whistlers sei. Doch nun scheint festzustehen, daß der Whistler vor Hilary den Tod fand. Wir werden zu gegebener Zeit ihr wie auch Christine Baldwin zu Ehren eine Trauerfeier abhalten. Das Verbrechen wird von der Polizei untersucht. Chief Inspector Rikkards von der Kripo Norfolk, der für die Aufklärung der vom Whistler verübten Morde zuständig war, hat den Fall übernommen. Er wird im Laufe des Vormittags eintreffen und diejenigen unter Ihnen befragen, die Hilary gut kannten und mit Informationen über ihr Leben die Untersuchung beschleunigen könnten. Wer von Ihnen mit Angaben, die der Polizei weiterhelfen, aufwarten kann, möge sich bitte an Chief Inspector Rikkards wenden, entweder hier im Werk oder in der Einsatzzentrale in Hoveton. Die Telephonnummer ist 499 623.«
    Im Lautsprecher knackte es abermals. Dann wurde es still.
    »Ich frage mich, wie viele Fassungen er geschrieben hat, bevor er das so hinbekam«, sagte Caroline. »Nichtssagend und unverbindlich. Nichts wird direkt ausgedrückt, aber die Sachlage wird dennoch klar dargelegt. Außerdem vergrätzt er uns nicht mit der Ermahnung, er verlasse sich darauf, daß wir wie bisher weiterarbeiten und nicht wie aufgescheuchte Hühner reagieren. Er vergeudet nun mal weder Zeit noch Worte auf Dinge, die unwesentlich sind. Er wird einen erstklassigen Apparatschik abgeben.«
    »Meinst du

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