Vorsatz und Begierde (German Edition)
Kostüms entledigt – einem Constable zu. Es war nicht seine Art, sich am Tatort über seine Untersuchungsergebnisse auf eine Diskussion einzulassen. Aber er ließ sich dazu herab, sie zu verkünden.
»Die Obduktion nehme ich morgen vor«, sagte er. »Den Bericht bekommen Sie dann am Donnerstag. Ich glaube nicht, daß es noch irgendwelche Überraschungen geben wird. Selbst wenn’s nur eine vorläufige Untersuchung war, ist der Sachverhalt klar. Tod durch Strangulation. Es handelt sich um ein Tatwerkzeug mit glatter Oberfläche. Breite etwa zwei Zentimeter. Es kann ein Gürtel gewesen sein, ein Riemen oder eine Hundeleine. Die Tote war groß und durchtrainiert. Dennoch war kein großer Krafteinsatz vonnöten, wenn man das Überraschungsmoment einbezieht. Vermutlich stand der Täter verborgen hinter einem Baum, stürzte dann vor und schlang ihr den Riemen um den Hals, als sie vom Schwimmen zurückkehrte und nach dem Handtuch griff. Sie machte noch ein paar konvulsive Bewegungen mit den Füßen, wie man an dem niedergedrückten Gras sehen kann. Meinem gegenwärtigen Erkenntnisstand nach trat der Tod zwischen 8 Uhr 30 und 10 Uhr ein.«
Dr. Maitland-Brown hatte seine Ansicht kundgetan und erwartete keine Fragen. Dazu bestand auch kein Anlaß. Er streckte den Arm nach seinem Mantel aus, den ihm ein Constable beflissen hinhielt, und verabschiedete sich.
Rikkards schaute auf die Tote nieder. Nachdem man Kopf, Hände und Beine in eine Plastikfolie gehüllt hatte, glich sie einer als Geschenk verpackten Puppe, einem Gebilde aus Latex, mit Kunststoffhaar und Glasaugen, der Nachbildung einer Frau.
Oliphants Stimme drang wie aus weiter Ferne an sein Ohr.
»Ist Commander Dalgliesh nicht mit Ihnen zurückgekommen, Sir?«
»Warum sollte er? Es ist nicht sein Fall. Wahrscheinlich liegt er schon im Bett.«
Da läge ich auch gern, dachte er weiter. Schon jetzt bedrückten ihn die Ereignisse des vergangenen und des kommenden Tages, als bürde man seinem erschöpften Körper schwere Gewichte auf – zuerst die Pressekonferenz über den Selbstmord des Whistlers, dann die Besprechung mit dem Chief Constable, dem Pressesprecher, jetzt die neue Untersuchung, all die Verdächtigen, die befragt, die Tatsachen, die eruiert werden mußten, die Mühsal einer Morduntersuchung, die er in Gang setzen mußte, während ihn die vorherige Panne noch bedrückte. Außerdem mußte er unbedingt Susie anrufen.
»Mr. Dalgliesh ist ein Zeuge«, sagte er noch, »und nicht der Leiter der Untersuchung.«
»Ein Zeuge schon, aber verdächtig ist er gewiß nicht.«
»Wieso nicht? Er wohnt hier auf der Landzunge. Er kannte die Tote. Er wußte, wie der Whistler seine Opfer umbrachte. Wir können vielleicht keinen ernsthaften Verdacht gegen ihn hegen, aber er muß wie jedermann seine Aussage machen.«
Oliphant blickte ihn ausdruckslos an. »Das wird für ihn eine neue Erfahrung sein. Hoffentlich macht sie ihm Spaß.«
Viertes Buch
Montag, 26. September
25
A nthony weckte sie wie immer kurz nach halb 7. Theresa tauchte langsam und noch benommen aus bleiernem Schlaf auf und begann, um sich herum die vertrauten Geräusche des Morgens wahrzunehmen: das Knarzen und Knacken des Kinderbettchens, das Schnaufen und Plappern Anthonys, der sich am Holzgitter festhielt und hochzog. Es roch nach Kinderzimmer, nach Babypuder, abgestandener Milch und durchnäßten Windeln. Sie tastete nach dem Schalter des Nachttischlämpchens mit seinem schäbigen Schirm und dem Saum baumelnder Bambis, schlug die Augen auf und schaute geradewegs in Anthonys Gesicht, der sie breit und zahnlos anlächelte und so vergnügt auf und ab hüpfte, daß das Kinderbettchen wackelte. Als sie behutsam die Tür zur Kammer der Zwillinge öffnete, sah sie, daß die beiden noch fest schliefen. Elizabeth war ein zusammengerolltes Bündel am entgegengesetzten Ende des Bettes; Marie lag – einen Arm ausgestreckt – auf dem Rücken. Wenn sie Anthonys Windel wechseln und ihn füttern konnte, bevor er zu quengeln begann, würden die beiden anderen Kinder eine halbe Stunde weiterschlafen und ihrem Vater noch eine Weile Ruhe gönnen.
Für Elizabeth und Marie wollte Theresa ihrer Mutter zuliebe sorgen, solange die beiden sie brauchten, doch Anthony liebte sie von ganzem Herzen. Einen Augenblick noch blieb sie regungslos liegen. Sie genoß das Gefühl, daß sie und ihr Brüderchen einander mochten. Aber dann ließ er die Gitterstäbe los, hob ein Beinchen, als wollte er schwerfällig
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