Vorsatz und Begierde (German Edition)
denn, daß dieser Chief Inspector Rikkards uns alle vernehmen wird?« fragte Jonathan.
»Alle, die Hilary gut kannten. Und wir gehören dazu. Deswegen will ich auch mit dir reden. Wenn er mich befragt, sage ich ihm, daß wir beide den gestrigen Abend von 6 bis etwa halb 11 gemeinsam verbracht haben. Dazu brauche ich deine Unterstützung. Selbstverständlich hängt das davon ab, ob jemand das Gegenteil beweisen könnte. Das müssen wir jetzt besprechen.«
Einen Augenblick lang war er sprachlos. »Aber so war es doch nicht!« stieß er dann hervor. »Du verlangst von mir, daß ich lüge. Es handelt sich um eine Morduntersuchung. Es ist gefährlich, die Polizei anzulügen. Die bringt es doch heraus.«
Ihm war bewußt, daß sich seine Worte anhörten wie die eines überängstlichen Kindes, das sich an einem riskanten Spiel nicht beteiligen möchte. Er schaute an ihr vorbei. Er wollte ihr nicht in die Augen sehen, Augen, die ihn vielleicht bittend, zornig oder gar verächtlich anblickten.
»Du hast mir doch am Freitag erzählt«, entgegnete sie, »daß deine Eltern den Sonntag abend bei deiner verheirateten Schwester in Ipswich verbringen wollten. Sind sie zu ihr gefahren?«
»Ja, sie waren bei ihr«, antwortete er bekümmert.
Bekümmert war er, weil sie nicht zu Hause gewesen waren und er deswegen gehofft, ja halb erwartet hatte, daß Caroline vorschlagen würde, sie könnten sich abermals im Bungalow treffen. Er entsann sich ihrer Worte: »Weißt du, es gibt Zeiten, da möchte eine Frau auch mal allein sein. Kannst du das verstehen? Was gestern geschehen ist, bedeutet nicht, daß wir unsere Freizeit miteinander verbringen müssen. Ich habe dir gesagt, daß ich dich liebe. Ich hab es dir bewiesen. Reicht das nicht?«
»Du warst gestern abend also allein in der Wohnung«, sagte sie. »Oder stimmt das nicht? Falls dich jemand besucht oder angerufen hat, muß ich mir was anderes einfallen lassen.«
»Niemand hat mich besucht. Ich war allein zu Hause. Danach bin ich weggefahren.«
»Wann bist du zurückgekommen? Hat dich jemand gesehen, als du den Wagen in die Garage gefahren hast? Es ist doch kein großer Wohnblock, nicht? Bist du jemand begegnet, als du heimkamst? Und was war mit der Beleuchtung in der Wohnung?«
»Ich hatte das Licht brennen lassen. Das machen wir immer, wenn wir die Wohnung verlassen. Meine Mutter meint, es sei sicherer. So sähe es aus, als sei jemand daheim. Ich bin erst nach Einbruch der Dunkelheit zurückgekommen. Ich wollte allein sein, nachdenken. Ich bin nach Blakeney gefahren und in der Marsch spazierengegangen.«
Sie seufzte zufrieden auf. »Dann ist’s gut. Bist du in der Marsch jemand begegnet?«
»In der Ferne habe ich ein Ehepaar mit einem Hund gesehen. Ich glaube nicht, daß die Leute mich wiedererkennen würden.«
»Wo hast du gegessen?« Ihre Stimme klang schroff. Die Befragung war unerbittlich.
»Ich habe nicht auswärts gegessen. Erst als ich zu Hause war. Ich war nicht hungrig.«
»Na schön, so wird’s gehen. Wir können’s wagen. Und mir hat auch niemand nachspioniert, als ich im Bungalow war. Niemand hat mich angerufen oder besucht. Das tut ohnehin niemand.«
Nachspioniert! Wie kann sie nur diesen Ausdruck verwenden, dachte er. Aber sie hatte recht. Der Bungalow, reizlos wie sein Name – Field View –, lag abgeschieden an einer öden Landstraße außerhalb von Hoveton. Er hatte ihn zuvor noch nie von innen gesehen. Vor jenem Freitagabend hatte sie nicht zugelassen, daß er sie heimbegleitete. Und dann war er befremdet, daß sie das Haus möbliert von einem Ehepaar gemietet hatte, das für ein Jahr nach Australien gezogen war, um dort bei der verheirateten Tochter zu leben, dann aber seinen Aufenthalt verlängert hatte. Aber warum war Caroline da geblieben? Es gab doch hübschere Häuser oder Bungalows, die sie mieten konnte. Sie konnte es sich doch sicherlich leisten, eine kleine Wohnung in Norwich zu kaufen. Als er ihr ins Innere gefolgt war, hatte ihn der Gegensatz zwischen der Schäbigkeit ringsum und Carolines hübschem, gepflegtem Aussehen bestürzt. Er sah die Einrichtung deutlich vor sich: den graubraunen Teppich in der Diele, das Wohnzimmer – zwei Wände bedeckte eine Tapete mit rosa Streifen, an den anderen beiden prangten übergroße Rosen –, das harte Sofa, die beiden Sessel mit ihren schmuddeligen Bezügen, die kleine Reproduktion mit Constables Heuwagen, die viel zu hoch hing, als daß man sie hätte betrachten können, daneben der
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