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Vorsatz und Begierde (German Edition)

Vorsatz und Begierde (German Edition)

Titel: Vorsatz und Begierde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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hat uns gestern abend gegen halb 8 angerufen, um mitzuteilen, daß der Whistler tot ist. Heute morgen sagte er noch, er sei froh, daß er angerufen hat, um es uns mitzuteilen. Du wüßtest schon, warum.«
    Er sagte nichts darauf. Sie hörte, wie das Wasser aus dem Wasserhahn in den Teekessel sprudelte. Dann kam ihr Vater langsam zum Tisch, verschloß den Teekessel und holte eine Keramiktasse vom Regal. Ihr Herz pochte. Anthony lag warm in ihrem Arm. Sie streifte mit dem Kinn sachte das Köpfchen mit dem flaumigen Haar.
    »Was hat Mr. Jago damit gemeint, Daddy?« fragte sie.
    »Er wollte damit sagen, daß derjenige, der Miss Robarts umgebracht hat, die Tat dem Whistler unterschieben wollte. Das bedeutet, die Polizei wird nur die Leute verdächtigen, die nicht wußten, daß der Whistler da schon tot war.«
    »Aber du wußtest es doch, Daddy, weil ich’s dir gesagt habe!«
    Er drehte sich um und erwiderte, ohne sie anzublicken:
    »Deine Mutter hätte es nicht gern gesehen, daß du lügst.«
    Aber er war weder ärgerlich, noch wies er sie zurecht. Aus seiner Stimme hörte sie nur eine große Müdigkeit heraus.
    »Das ist keine Lüge, Daddy«, sagte sie. »Mr. Jago hat angerufen, als du auf dem Klo warst. Als du zurückkamst, hab ich es dir gesagt.«
    Er schaute ihr in die Augen. Einen solch hoffnungslosen, niedergeschlagenen Ausdruck hatte sie in seinen Augen noch nie gesehen. »Das stimmt, das hast du mir gesagt. Und das wirst du auch der Polizei sagen, wenn man dich fragt.«
    »Selbstverständlich, Daddy! Ich werde ihnen sagen, wie’s gewesen ist. Mr. Jago hat mir von dem Whistler berichtet, und ich hab es dir mitgeteilt.«
    »Und du weißt noch, was ich darauf gesagt habe?«
    Der Sauger an dem Fläschchen war nicht mehr prall. Sie nahm Anthony das Fläschchen weg, um Luft einzulassen. Anthony stieß einen Wutschrei aus, der erst abbrach, als sie ihm den Sauger wieder in den Mund steckte.
    »Du hast gesagt, daß du froh darüber bist«, antwortete sie.
    »Jetzt wären wir alle wieder sicher.«
    »Ja«, erwiderte er. »Jetzt sind wir wieder sicher.«
    »Bedeutet das, daß wir nicht mehr aus dem Haus heraus müssen?«
    »Das ist noch ungewiß. Wir müssen es zumindest nicht sofort verlassen.«
    »Wem gehört es nun, Daddy?«
    »Das weiß ich nicht. Wem immer sie es in ihrem Testament hinterlassen hat, denke ich. Vielleicht wollen die Erben es verkaufen.«
    »Könnten wir es nicht kaufen, Daddy? Es wäre so schön, wenn wir es kaufen könnten.«
    »Das hängt vom Kaufpreis ab. Es hat jetzt keinen Sinn, darüber nachzudenken. Vorläufig sind wir aus dem Schneider.«
    »Wird die Polizei zu uns kommen?« fragte sie.
    »Aber sicher. Wahrscheinlich heute noch.«
    »Warum wird sie kommen, Daddy?«
    »Um herauszufinden, ob ich wußte, daß der Whistler schon tot war. Um dich zu befragen, ob ich das Haus gestern nacht verlassen habe. Die Polizei kommt höchstwahrscheinlich, wenn du von der Schule zurück bist.«
    Doch sie würde nicht zur Schule gehen. Viel wichtiger war heute, daß sie nicht von der Seite ihres Vaters wich. Und eine Entschuldigung hatte sie sich schon ausgedacht – Bauchschmerzen. Über die Kloschüssel gebeugt, hatte sie heute geradezu mit Freude registriert, daß sie ihre Periode bekommen hatte.
    »Aber du hast doch das Haus nicht verlassen, Daddy, nicht wahr?« entgegnete sie. »Ich war hier unten, bis ich um Viertel nach 8 zu Bett ging. Ich habe dich unten gehört. Ich habe den Fernseher gehört.«
    »Daß der Fernseher an war, verschafft mir kein Alibi«, sagte er.
    »Aber ich bin heruntergekommen, Daddy. Du mußt dich doch daran erinnern. Ich bin zwar schon um Viertel nach 8 zu Bett gegangen, aber ich konnte, weil ich durstig war, nicht gleich einschlafen. Ich bin kurz vor 9 heruntergekommen, um Wasser zu trinken. Ich bin in Mutters Sessel gesessen und habe noch gelesen. Daran mußt du dich noch erinnern, Daddy! Erst nach halb 10 bin ich schlafen gegangen.«
    Er seufzte auf und sagte: »Ja, ich erinnere mich.«
    Jetzt erst bemerkte Theresa, daß die Zwillinge an der Küchentür standen. Sie betrachteten ihren Vater stumm und mit ausdruckslosen Gesichtern.
    »Geht nach oben und zieht euch an!« befahl Theresa schroff.
    »Ihr sollt doch nicht so leicht bekleidet herumlaufen, sonst erkältet ihr euch noch!«
    Gehorsam machten sie kehrt und stapften die Stiege hoch. Dampf entwich zischend dem Wasserkessel. Ihr Vater schaltete das Gas aus, machte aber keine Anstalten, Tee aufzubrühen. Er setzte sich an

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