Vorsatz und Begierde
sind schon in einer Spielgruppe, und als die Sozialarbeiterin zusätzliche Hilfe anbot, unter anderem im Haushalt, zeigte sich Blaney weder erfreut noch kooperativ. Kann ich ihm wirklich nicht verdenken. Ich möchte die Wohlfahrt auch nicht im Nacken haben.«
»Weiß Blaney, daß es Hilary Robarts war, die den Besuch veranlaßt hat?«
»Die örtlichen Behörden haben es ihm nicht gesagt; das tun sie nie. Und ich wüßte nicht, wie er es in Erfahrung gebracht haben könnte. Aber wenn er es erfahren hat, verstärkt das sein Motiv beträchtlich, nicht wahr? Dieser Kontrollbesuch hätte der Tropfen sein können, der das Faß zum Überlaufen brachte.«
»Aber hätte er sie so umgebracht? Die Kenntnis vom Tod des Whistlers schließt dessen Methode aus.«
»Nicht unbedingt, Mr. Dalgliesh. Angenommen, es handelt sich um einen Doppel-Bluff. Angenommen, er erklärt sozusagen: ›Hört zu, ich kann beweisen, daß ich wußte, der Whistler ist tot. Derjenige, der Hilary Robarts tötete, hat es aber nicht gewußt. Warum also sucht ihr nicht jemanden, der nicht erfahren hatte, daß man die Leiche des Whistlers gefunden hat?‹ Und bei Gott, Mr. Dalgliesh, es gibt noch eine weitere Möglichkeit. Angenommen, er wußte, daß der Whistler tot war, dachte sich aber, daß es gerade erst passiert ist. Ich habe Theresa gefragt, was genau George Jago zu ihr gesagt hat. Sie erinnerte sich auch noch genau, und Jago hat uns das bestätigt. Offenbar hat er gesagt: ›Richte deinem Dad aus, daß der Whistler tot ist. Umgebracht hat er sich. Gerade eben, drüben in Easthaven.‹ Aber ansonsten weder etwas über das Hotel noch darüber, wann sich der Whistler das Zimmer genommen hat. Davon wußte Jago nichts. Die Nachricht, die er von seinem Freund im Crown and Anchor bekam, war ziemlich verstümmelt. Also kann Blaney durchaus vermutet haben, die Leiche sei auf offenem Feld nur fünf Meilen die Küste entlang gefunden worden. Und er könne ungestraft morden. Weil jeder, auch die Polizei, annehmen werde, der Whistler habe sein letztes Opfer getötet und sich dann selbst umgebracht. Großer Gott, Mr. Dalgliesh, das ist lupenrein!«
Dalgliesh dachte bei sich, es sei eher lupenrein als überzeugend. Laut sagte er: »Sie nehmen also an, daß das zerstörte Porträt nicht unmittelbar mit dem Mord in Verbindung steht. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, daß Blaney sein eigenes Werk vernichtet.«
»Warum denn nicht? Nach allem, was ich davon gesehen habe, war es wirklich nichts Besonderes.«
»Für ihn, glaube ich, schon.«
»Das Porträt ist ein Rätsel, das gebe ich zu. Und das ist nicht das einzige Problem. Irgend jemand hat mit der Robarts etwas getrunken, bevor sie zum letztenmal zum Schwimmen ging, irgend jemand, den sie ins Haus ließ, irgend jemand, den sie kannte. Auf dem Ablaufbrett standen zwei Gläser, und das bedeutet in meinen Augen, daß zwei Personen etwas getrunken haben. Diesen Blaney hätte sie nicht ins Thyme Cottage eingeladen, und wenn er doch aufgetaucht wäre, möchte ich bezweifeln, daß sie ihn eingelassen hätte, nüchtern oder betrunken.«
»Aber wenn Sie Miss Mair glauben«, wandte Dalgliesh ein, »fällt Ihr Verdacht gegen Blaney in sich zusammen. Sie behauptet, ihn um Viertel vor 10 oder ein bißchen später in Scudder’s Cottage gesehen zu haben, und da war er halb betrunken. Nun gut, er hätte die Trunkenheit vortäuschen können; das würde ihm keine Schwierigkeiten bereiten. Was er aber nicht hätte tun können, das wäre, um zwanzig nach 9 Hilary Robarts zu töten und um Viertel vor 10 wieder zu Hause zu sein – nicht ohne ein Auto oder einen Lieferwagen, und die standen ihm nicht zur Verfügung.«
»Oder ein Fahrrad«, hielt Rikkards ihm vor.
»Dann hätte er aber kräftig in die Pedale treten müssen. Wie wir wissen, starb sie nach dem Schwimmen, nicht vorher. Als ich sie fand, waren ihre Haare an den Wurzeln noch feucht. Daher gehen wir vermutlich nicht fehl, wenn wir den Zeitpunkt des Todes zwischen Viertel nach 9 und halb 10 ansetzen. Das Fahrrad mitnehmen und am Wasser entlang zurückradeln hätte er auf keinen Fall können. Es war Flut; er hätte über den Kies fahren müssen, und das ist weit mühsamer als auf der Straße. Es gibt nur eine Stelle am Strand, wo auch bei Flut ein Streifen Sand freiliegt, und das ist die kleine Bucht, in der Hilary Robarts schwimmen ging. Und wenn er auf der Straße gefahren wäre, hätte Miss Mair ihn sehen müssen. Sie hat ihm aber ein Alibi gegeben, das
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