Vorsatz und Begierde
»Haushälterin« hatte in ihm das Bild einer schlicht gekleideten Frau mittleren Alters hervorgerufen, im schlimmsten Fall ein wenig herablassend und einschüchternd, im besten Fall respektvoll, redselig, hilfsbereit. Die Realität dagegen war so bizarr, daß er sichtlich verblüfft zusammenzuckte und darüber sogleich heftig errötete. Sie war klein und knochendürr, mit glattem, rotgoldenem Haar, das ihr, weiß an den Wurzeln und daher eindeutig gefärbt, wie ein glänzender Helm bis auf die Schultern fiel. Ihre blaßgrünen, tiefliegenden Augen waren riesig, die unteren, ein wenig hängenden Lider blutunterlaufen, so daß die Augäpfel in einer offenen Wunde zu schwimmen schienen. Ihre Haut war sehr weiß und von zahllosen feinen Linien durchzogen – das heißt bis auf die vorspringenden Wangenknochen, über denen sie sich so straff spannte wie feines Papier. Im Gegensatz zu dieser ungeschminkten, zarten Haut wirkte ihr Mund wie ein dünner, grellrot gefärbter Schnitt. Zu einem Kimono trug sie hochhackige Pantoffeln und hielt einen winzigen, fast haarlosen Hund mit Basedow-Augen auf dem Arm, dessen dünner Hals mit einem juwelenbesetzten Halsband geschmückt war. Sekundenlang blieb sie, den Hund an ihre Wange gedrückt, schweigend stehen und musterte ihren Besucher.
Jonathan, dessen mühsam erzwungene Selbstsicherheit rapide dahinschmolz, erklärte höflich: »Es tut mir leid, Sie stören zu müssen. Aber ich bin ein Freund von Miss Caroline Amphlett und versuche sie zu erreichen.«
»Also, hier erreichen Sie sie auf gar keinen Fall.« Die Stimme, die er sofort erkannte, wirkte erstaunlich bei einer so zierlichen Frau: tief und heiser, dennoch aber nicht unattraktiv.
»Tut mir leid, wenn ich den falschen Amphlett erwischt habe«, entschuldigte er sich. »Caroline hat mir vor zwei Jahren ihre Adresse gegeben, aber ich habe sie leider verloren. Deswegen hab ich’s mit dem Telephonbuch versucht.«
»Ich habe keineswegs gesagt, daß Sie den falschen Amphlett haben, nur daß Sie sie hier nicht erreichen werden. Aber Sie wirken eher harmlos, und da Sie eindeutig unbewaffnet sind, sollten Sie lieber hereinkommen. Heutzutage kann man nicht vorsichtig genug sein, aber Baggott ist sehr zuverlässig. An Baggott kommt kaum ein Betrüger vorbei. Sind Sie ein Betrüger, Mr. …?«
»Percival. Charles Percival.«
»Sie müssen mein déshabillé entschuldigen, Mr. Percival, aber am Nachmittag erwarte ich normalerweise keinen Besuch.«
Er folgte ihr durch eine quadratische Diele und eine Doppeltür in einen Raum, bei dem es sich eindeutig um einen Salon handelte. Gebieterisch deutete sie auf ein Sofa vor dem Kamin, das unbequem niedrig und so weich gepolstert war wie ein Bett und Armlehnen mit dicken Quasten aufwies. Mit betont langsamen Bewegungen, als nehme sie sich absichtlich viel Zeit, ließ Miss Beasley sich ihm gegenüber in einem eleganten Ohrensessel nieder, packte den Hund auf ihren Schoß und blickte mit der starren, strengen Aufmerksamkeit eines Inquisitors auf ihn herab. Voll Unbehagen war er sich dessen bewußt, daß er in dieser Position, die Schenkel von den weichen Kissen umfangen, die spitzen Knie fast bis ans Kinn emporragend, äußerst lächerlich wirken mußte. Der Hund, so nackt, als sei ihm das Fell über die Ohren gezogen worden, und ständig zitternd wie ein Wesen, das vor Kälte fast wahnsinnig wird, starrte mit seinen flehenden Glotzaugen erst ihn an und dann zu ihr empor. Das Lederhalsband mit den dicken roten und blauen Steinen lastete schwer auf dem zarten Hals.
Jonathan widerstand der Versuchung, sich im Zimmer umzusehen, hatte aber das Gefühl, als dränge sich ihm jede Einzelheit von selber auf: der Marmorkamin mit dem lebensgroßen Ölgemälde eines viktorianischen Army-Offiziers darüber, dessen blasses, arrogantes Gesicht mit der einzelnen blonden, fast bis auf die Wange herabfallenden Haarlocke eine unheimliche Ähnlichkeit mit Carolines Antlitz aufwies; die vier geschnitzten Stühle mit den bestickten Sitzpolstern, die an der Wand standen; der helle, blankpolierte Fußboden mit den zerknitterten, sehr alten Teppichen; der ovale Tisch in der Mitte des Zimmers sowie die Beistelltische mit den Photos in Silberrahmen. Es roch stark nach Farbe und Terpentin; irgendwo in der Wohnung wurde offenbar ein Raum renoviert.
Nachdem sie ihn einen Augenblick stumm gemustert hatte, sagte die Frau: »Sie sind also ein Freund von Caroline. Das überrascht mich, Mr. … Mr. … Tut mir leid,
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