Vorsatz und Begierde
ich habe Ihren Namen vergessen.«
»Percival«, gab er ruhig zurück. »Charles Percival.«
»Und ich bin Miss Oriole Beasley. Die Haushälterin. Wie ich schon sagte, Sie überraschen mich, Mr. Percival. Doch wenn Sie sagen, daß Sie Carolines Freund sind, nehme ich selbstverständlich Ihr Wort dafür.«
»Vielleicht hätte ich nicht unbedingt ›Freund‹ sagen sollen. Ich habe sie nur einmal getroffen, 1986 in Paris. Wir haben gemeinsam den Louvre besichtigt. Aber ich würde sie gern wiedersehen. Sie hat mir zwar ihre Adresse gegeben, aber ich habe sie leider verloren.«
»Wie nachlässig von Ihnen! Dann haben Sie also zwei Jahre gewartet und dann erst beschlossen, nach ihr zu suchen. Warum jetzt, Mr. Percival? Offensichtlich ist es Ihnen doch gelungen, Ihre Ungeduld ganze zwei Jahre lang zu zügeln.«
Er wußte genau, wie er auf sie wirken mußte: unsicher, schüchtern, befangen. Doch etwas anderes konnte sie wohl kaum von einem Mann erwarten, der taktlos genug war, daran zu glauben, daß er eine erloschene, flüchtige Leidenschaft wiederaufleben lassen könne. »Es ist nur so, daß ich ein paar Tage in London bin«, erklärte er. »Ich arbeite in Nottingham. Als Techniker im Krankenhaus. Deswegen habe ich nicht oft Gelegenheit, in den Süden zu kommen. Es war nur ein spontaner Versuch, Caroline wiederzufinden.«
»Wie Sie sehen, ist sie nicht hier. Im Grunde hat sie seit ihrem achtzehnten Lebensjahr nicht mehr in diesem Haus gelebt, und da ich lediglich die Haushälterin bin, liegt es kaum in meiner Kompetenz, zufälligen Interessenten Informationen über den Aufenthalt der Familienmitglieder zu geben. Würden Sie sich als zufälligen Interessenten bezeichnen, Mr. Percival?«
»Möglich, daß ich so auf Sie wirke«, entgegnete Jonathan.
»Aber ich habe den Namen im Telephonbuch gefunden und dachte mir, ein Versuch kann nicht schaden. Selbstverständlich ist es möglich, daß sie mich gar nicht wiedersehen will.«
»Ich könnte mir vorstellen, daß das mehr als wahrscheinlich ist. Und Sie können sich natürlich ausweisen, haben irgendeinen Beweis dafür, daß Sie Mr. Charles Percival aus Nottingham sind?«
»Leider nicht«, antwortete Jonathan. »Ich hatte nicht erwartet …«
»Nicht mal eine Kreditkarte oder einen Führerschein? Sie wirken außergewöhnlich unvorbereitet auf mich, Mr. Percival.«
Irgend etwas in dieser tiefen, so arroganten Oberschicht-Stimme, dieser Mischung aus Überheblichkeit und Verachtung, weckte seinen Trotz. Er sagte: »Ich komme nicht vom Gaswerk. Ich wüßte nicht, warum ich mich identifizieren sollte. Es handelt sich um eine ganz simple Erkundigung. Ich hatte gehofft, Caroline oder vielleicht auch Mrs. Amphlett hier zu finden. Es tut mir leid, wenn ich Sie gekränkt habe.«
»Sie haben mich nicht gekränkt. Wenn ich so leicht zu kränken wäre, würde ich nicht bei Mrs. Amphlett arbeiten. Aber hier werden Sie sie leider nicht antreffen. Mrs. Amphlett fährt Ende September immer nach Italien und anschließend den Winter über nach Spanien. Es überrascht mich, daß Caroline Ihnen nichts davon erzählt hat. In ihrer Abwesenheit kümmere ich mich um die Wohnung. Mrs. Amphlett haßt die Melancholie des Herbstes und die winterliche Kälte. Eine reiche Frau wie sie hat es nicht nötig, so etwas auszuhalten. Und ich bin überzeugt, Mr. Percival, daß Sie sich dessen durchaus bewußt sind.«
Und dies war – endlich – die Chance, die er brauchte. Er zwang sich, in diese grausig-blutigen Augen zu sehen, und sagte: »Mir hat Caroline erzählt, daß ihre Mutter arm sei, daß sie ihr gesamtes Geld verloren habe, weil sie es in Peter Robarts’ Plastikfirma investiert habe.«
Die Reaktion auf diese Worte war verblüffend. Mrs. Beasley wurde knallrot, eine Röte, die wie eine Flut vom Hals bis zur Stirn emporstieg. Es dauerte lange, bis sie wieder Worte fand, doch dann hatte sie ihre Stimme völlig unter Kontrolle.
»Das haben Sie entweder bewußt mißverstanden, Mr. Percival, oder Ihr Gedächtnis ist, was finanzielle Fakten betrifft, ebenso unzuverlässig wie bei Adressen. Caroline hätte Ihnen niemals etwas Derartiges anvertrauen können. Ihre Mutter hat, als sie einundzwanzig war, von ihrem Großvater ein Vermögen geerbt und niemals auch nur einen Penny davon verloren. Es war mein kümmerliches Kapital – zehntausend Pfund, falls es Sie interessieren sollte –, das unklugerweise in die Projekte jenes so überzeugenden Gauners investiert wurde. Doch diese
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