Vorsatz und Begierde
kleine persönliche Tragödie hätte Caroline wohl kaum einem Fremden anvertraut.«
Darauf wußte Jonathan nichts zu erwidern, vermochte keine glaubwürdige Erklärung, keine Ausrede zu finden. Er hatte den Beweis, den er gesucht hatte: Caroline hatte ihn belogen. Es hätte ihn mit Genugtuung erfüllen sollen, daß sein Verdacht sich bestätigte, daß seine Ermittlungen von Erfolg gekrönt waren. Statt dessen überfiel ihn eine flüchtige, doch überwältigende Niedergeschlagenheit, verbunden mit der für ihn ebenso erschreckenden wie irrationalen Überzeugung, daß der Beweis von Carolines Falschheit zu einem schrecklichen Preis erkauft worden war.
Ohne ein Wort zu sagen, fuhr sie fort, ihn anzustarren. Dann erkundigte sie sich plötzlich: »Was halten Sie von Caroline? Offensichtlich hat sie Eindruck auf Sie gemacht, sonst würden Sie die Bekanntschaft mit ihr nicht erneuern wollen. Und zweifellos haben Sie während der vergangenen zwei Jahre immer wieder an sie gedacht.«
»Ich finde … Ich fand Sie damals wirklich bezaubernd.«
»Ja, nicht wahr? Das ist sie wirklich. Es freut mich, daß Sie das auch so empfinden. Ich war ihre Kinderschwester, ihre Nanny, wenn man diesen albernen Ausdruck verwenden will. Man könnte sagen, daß ich sie großgezogen habe. Das überrascht Sie, nicht wahr? Ich bin wohl kaum die Idealvorstellung von einer Nanny. Warmer Schoß, Busen mit Schürze, Winnie the Pooh, The Wind in the Willows , Abendgebet, iß deinen Teller leer, sonst gibt’s morgen kein schönes Wetter. Aber ich hatte meine eigenen Methoden. Mrs. Amphlett begleitete den Brigadier stets zu seinen Überseeposten, und wir beiden blieben zusammen hier, nur wir beide. Mrs. Amphlett war der Meinung, ein Kind brauche Beständigkeit, vorausgesetzt, diese Beständigkeit wurde nicht von ihr, der Mutter, verlangt. Wäre Caroline ein Sohn gewesen, wäre natürlich alles ganz anders gewesen. Aber die Amphletts legten keinen Wert auf eine Tochter. Caroline hatte zwar einen Bruder, aber der kam, als er fünfzehn war, bei einem Unfall im Auto eines Freundes ums Leben. Caroline saß auch in dem Auto, überlebte den Unfall aber fast unverletzt. Das haben ihr die Eltern, glaube ich, niemals verziehen. Sie konnten sie nie ansehen, ohne es sie eindeutig spüren zu lassen, daß damals das falsche Kind umgekommen war.«
Ich will das nicht hören, dachte Jonathan verzweifelt, ich will nichts davon wissen! Laut sagte er: »Sie hat mir nie etwas davon erzählt, daß sie einen Bruder hatte. Aber von Ihnen hat sie gesprochen.«
»Ach, tatsächlich? Sie hat Ihnen von mir erzählt? Also, das erstaunt mich, Mr. Percival. Verzeihen Sie, aber Sie sind der letzte, von dem ich erwartet hätte, daß sie Ihnen von mir erzählt.«
Sie weiß es, dachte er; sie kennt nicht die Wahrheit, aber sie weiß, daß ich nicht Charles Percival aus Nottingham bin. Und während er in diese seltsamen Augen blickte, in denen eine unverkennbare Mischung aus Argwohn und Verachtung stand, erkannte er, daß sie sich mit Caroline zu einer weiblichen Verschwörung verbunden hatte, in der er von Anfang an ein unglückseliges, verächtliches Opfer darstellte. Diese Erkenntnis schürte seinen Zorn und verlieh ihm Kraft. Aber er schwieg.
Nach einer Weile fuhr sie fort: »Mrs. Amphlett behielt mich auch, nachdem Caroline das Haus verlassen hatte, sogar auch dann noch, als der Brigadier verschieden war. Aber ›verschieden war‹ ist kaum ein angemessener Ausdruck für einen Soldaten. Vielleicht hätte ich sagen sollen, ›zu seinen Vätern heimgegangen‹, oder ›auf die himmlischen Schlachtfelder abberufen‹, ›zu Glanz und Glorie erhoben‹. Oder gilt das nur für die Heilsarmee? Ich habe das Gefühl, daß ausschließlich die Heilsarmee zu Glanz und Glorie erhoben wird.«
Jonathan sagte: »Caroline hat mir erzählt, daß ihr Vater Berufssoldat war.«
»Sie war nie ein mitteilsamer Mensch, aber Sie scheinen ihr Vertrauen erworben zu haben, Mr. Percival. Nun gut, ich nenne mich heute Haushälterin, und nicht mehr Nanny. Meine Brotherrin findet alle möglichen Aufgaben für mich, wenn sie nicht hier ist. Es wäre unangemessen für Maxie und mich, hier nur für ein Kostgeld zu wohnen und in London ein angenehmes Leben zu führen, nicht wahr, Maxie? Auf gar keinen Fall. Ein bißchen exklusive Schneiderei. Private Briefe weiterleiten. Rechnungen bezahlen. Ihren Schmuck reinigen lassen. Die Wohnung renovieren. Und außerdem muß Maxie natürlich jeden Tag ausgeführt
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