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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Niemand, der auch nur entfernt mit dem Mord zu tun hat, kommt ganz ungeschoren davon. Aber Chief Inspector Rikkards ist nicht dumm, und er ist ein aufrechter Mann. Er wird mit Sicherheit nur das benutzen, was für seine Ermittlungen wirklich wichtig ist, und ob etwas wichtig ist, entscheidet nur er.«
    »Ich glaube, daß ist genau die Rückversicherung, die ich brauche. Also gut, ich werd’s ihm sagen.«
    Er trank seinen Kaffee jetzt so schnell aus, als habe er es eilig, hinauszukommen, bestieg nach einem kurzen Abschiedswort sein Fahrrad und strampelte angestrengt, tief gebückt gegen den Wind, den Weg hinab. Nachdenklich trug Dalgliesh die beiden Kaffeebecher in die Küche. Die Schilderung von Hilary Robarts, die wie eine glänzende Göttin aus den Wogen stieg, war bemerkenswert lebendig gewesen. Eine Einzelheit dagegen konnte nicht stimmen. Pascoe hatte von dem Schlüsselmedaillon gesprochen, das zwischen ihren Brüsten hing. Dalgliesh erinnerte sich an Mairs Worte, als er dastand und auf die Leiche hinunterblickte. »Dieses Medaillon an ihrem Hals. Ich habe es ihr am 29. August zum Geburtstag geschenkt.« Also hatte Hilary Robarts es am Mittwoch, dem 10. August, nicht tragen können. Zweifellos hatte Pascoe gesehen, wie Hilary Robarts mit dem Medaillon zwischen ihren nackten Brüsten aus dem Meer stieg; aber das konnte nicht am 10. August gewesen sein.

Sechstes Buch
    Samstag, 1. Oktober,
bis Donnerstag, 6. Oktober
       

42
    J onathan hatte beschlossen, mit seiner Fahrt nach London und der Weiterführung seiner Nachforschungen bis Samstag zu warten. Über einen samstäglichen Besuch im Naturwissenschaftlichen Museum von London würde die Mutter ihm wohl kaum Fragen stellen, während ein Tag Urlaub jedesmal Erkundigungen hinsichtlich des Wohin und Warum nach sich zog. Immerhin hielt er es für besser, vorsichtshalber eine halbe Stunde im Museum zu verbringen, bevor er sich auf den Weg zur Pont Street machte, und so war es schon 3 Uhr vorbei, als er vor dem großen Wohngebäude stand. Über eines war er sich schon auf den ersten Blick klar: Jemand, der in diesem Haus wohnte und dazu eine Haushälterin beschäftigte, konnte unmöglich arm sein. Das Haus gehörte zu einer eindrucksvollen viktorianischen Wohnanlage, halb aus Kunst- und halb aus Backsteinen, mit Säulen beiderseits der glänzend schwarzen Tür und Butzenscheiben wie grüne Flaschenböden in den beiden Erdgeschoßfenstern. Da die Tür offenstand, fiel sein Blick in eine quadratische, mit schwarzem und weißem Marmor ausgelegte Halle, auf die untere Balustrade einer reich verzierten Treppe aus Schmiedeeisen und die Tür eines goldfarbenen Aufzugkäfigs. Rechts befand sich ein Empfangstisch mit einem uniformierten Pförtner. Da er vermeiden wollte, daß man ihn vor der Tür herumlungern sah, marschierte er in energischem Tempo weiter und überlegte sein weiteres Vorgehen.
    Im Grunde brauchte er nichts anderes zu tun, als sich auf dem schnellsten Weg zur U-Bahn-Station zu begeben, zur Liverpool Street zurückzukehren und den ersten Zug nach Norwich zu nehmen. Er hatte erreicht, was er erreichen wollte: Es stand nunmehr fest, daß Caroline ihn belogen hatte. Eigentlich müßte ich doch wohl entsetzt und traurig sein, dachte er sich – sowohl über ihre Lüge als auch über die Hinterlist, mit der er seine Nachforschungen betrieben hatte. Er hatte geglaubt, sie wirklich zu lieben. Oder vielmehr, er liebte sie. Seit einem Jahr hatte es kaum eine Stunde gegeben, in der seine Gedanken nicht bei ihr weilten. Richtig besessen war er von dieser blonden, kühl-reservierten Schönheit gewesen. Wie ein Primaner hatte er an den Ecken der Korridore gelauert, an denen sie vielleicht vorüberkommen würde, hatte sich auf sein Bett gefreut, nur weil er dort ungestört liegen und sich seinen heimlichen erotischen Phantasien hingeben konnte, und beim Aufwachen war sein erster Gedanke gewesen, wann und wo sie sich wieder treffen würden. So eine Liebe konnte doch weder durch den Akt körperlicher Inbesitznahme noch durch die Aufdeckung ihres Betrugs zerstört werden! Warum also empfand er diese Bestätigung ihres Betrugs als beinah angenehm, ja sogar erfreulich? Am Boden zerstört hätte er sein müssen, aber statt dessen war er erfüllt von einer Genugtuung, die fast schon an Triumph grenzte. Sie hatte gelogen, leichtsinnig gelogen: So sicher war sie also, daß er sie zu sehr liebte, zu sehr in sie vernarrt und zu dumm war, um ihre Worte in Frage zu stellen.

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