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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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werden. Der würde sich im Tierheim nämlich nicht wohl fühlen – stimmt’s, mein kleiner Schatz? Ich möchte wissen, was aus mir werden soll, wenn Maxie einmal zu Glanz und Glorie erhoben wird.«
    Darauf vermochte Jonathan kaum etwas zu erwidern, und sie schien das wohl auch nicht zu erwarten. Nach einer kurzen Pause, während der sie die Pfote des Winzlings sanft an ihre Wange führte, fuhr sie fort: »Auf einmal scheinen all ihre alten Freunde sich mit Caroline in Verbindung zu setzen wollen. Erst am Dienstag hat jemand angerufen und nach ihr gefragt. Oder war es am Mittwoch? Aber vielleicht waren Sie das ja, Mr. Percival – oder?«
    »Nein«, leugnete er und staunte, wie mühelos er zu lügen vermochte. »Ich habe nicht angerufen. Ich hielt es für besser, einfach herzukommen.«
    »Aber Sie wußten, nach wem Sie fragen mußten. Sie kannten meinen Namen. Schließlich haben Sie ihn Baggott gegeben.«
    Hoppla, so würde sie ihn nicht in die Falle locken! »Ich habe mir Ihren Namen gemerkt«, sagte er. »Wie gesagt, Caroline hat mir von Ihnen erzählt.«
    »Es wäre besser gewesen, wenn Sie vorher angerufen hätten. Dann hätte ich Ihnen gesagt, daß sie nicht hier ist, und Ihnen eine Menge Zeit erspart. Seltsam, daß Sie nicht daran gedacht haben. Aber dieser andere Freund klang nicht wie Sie. Eine völlig andere Stimme. Schottisch, würde ich sagen. Und nehmen Sie’s mir bitte nicht übel, aber Ihre Stimme, Mr. Percival, klingt absolut undefinierbar.«
    »Wenn Sie meinen, mir Carolines Adresse nicht geben zu können, dann sollte ich wohl jetzt lieber gehen«, antwortete Jonathan. »Sollte ich zu einer ungelegenen Zeit gekommen sein, so tut es mir leid.«
    »Warum schreiben Sie ihr nicht einen Brief, Mr. Percival? Briefpapier kann ich Ihnen zur Verfügung stellen. Ich halte es nicht für richtig, Ihnen ihre Adresse zu geben, aber Sie können sich darauf verlassen, daß ich jede Nachricht, die Sie mir anvertrauen, umgehend an sie weiterleiten werde.«
    »Dann ist sie also nicht in London?«
    »Nein. Sie ist schon seit über drei Jahren nicht mehr in London und wohnt seit ihrem achtzehnten Lebensjahr nicht mehr hier. Aber ich weiß natürlich, wo sie sich aufhält. Wir halten Kontakt. Ihr Brief wird in meinen Händen sicher sein.«
    Das ist eindeutig eine Falle, dachte Jonathan. Aber sie kann mich nicht zum Schreiben zwingen. Es darf auf gar keinen Fall eine Nachricht in meiner Handschrift geben. Denn die würde Caroline sofort erkennen, selbst wenn ich versuchen wollte, sie zu verstellen. Laut sagte er: »Ich glaube, ich schreibe lieber später, wenn ich Zeit habe, über das nachzudenken, was ich ihr mitteilen möchte. Wenn ich den Brief an diese Adresse schicke – könnten Sie ihn dann weitersenden?«
    »Herzlich gern, Mr. Percival. Und nun, denke ich, möchten Sie gewiß gern gehen. Ihr Besuch bei mir ist vermutlich weniger ergiebig ausgefallen, als Sie gehofft hatten, aber vermutlich haben Sie erfahren, was Sie in Erfahrung bringen wollten.«
    Dennoch rührte sie sich nicht vom Fleck, und einen flüchtigen Augenblick lang fühlte sich Jonathan in der Falle, bewegungsunfähig, als hielten ihn die unangenehm weichen, nachgiebigen Kissen wie in einem Schraubstock gefangen. Fast erwartete er, sie werde aufspringen und ihm den Weg zur Tür verstellen, ihn als Betrüger entlarven und in der Wohnung eingeschlossen halten, während sie mit der Polizei oder dem Pförtner telephonierte. Was sollte er dann tun: versuchen, ihr die Schlüssel mit Gewalt abzunehmen und zu fliehen, oder auf die Polizei warten und versuchen, sich den Weg in die Freiheit mit einem Bluff zu erkämpfen? Aber die kurze Panik legte sich wieder. Mrs. Beasley erhob sich, ging ihm zur Tür voraus und hielt sie ihm wortlos auf. Sie schloß sie nicht sofort hinter ihm, und er spürte, daß sie mit dem zitternden Hund auf dem Arm dastand und ihn beobachtete. Am Kopf der Treppe drehte er sich zu einem letzten Abschiedslächeln um. Und was er da sah, ließ ihn sekundenlang erstarren, bevor er Hals über Kopf die Treppe hinunter- und durch die Halle zur offenen Haustür hinauslief: In seinem ganzen Leben hatte er noch nie einen so abgrundtiefen Haß in einem menschlichen Antlitz gesehen.

43
    Da das ganze Unternehmen anstrengender gewesen war, als Jonathan es für möglich gehalten hatte, war er sehr müde, als er die Liverpool Street erreichte. Der Bahnhof wurde gerade umgebaut – verschönert, wie die riesigen Schaubilder beruhigend

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