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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Reisigfeuer auf dem Kies entzündet, auf das wir drei nun zuhielten. Sie hob ihr Handtuch vom Boden auf, wickelte sich aber nicht hinein. Sie sah … na ja, sie sah einfach wundervoll aus, mit den Wassertropfen, die auf ihrer Haut glänzten, und ihrem Medaillon, das zwischen ihren Brüsten hing. Ich weiß, es klingt albern und, na ja, kitschig, aber sie sah aus wie eine dem Meer entstiegene Göttin. Von mir nahm sie nicht die geringste Notiz, sondern blickte nur Toby an. ›Wie schön, daß ich dich hier treffe, Toby‹, sagte sie. ›Kommst du auf einen Drink und etwas zu essen mit mir ins Cottage?‹ Ganz normal. Harmlos klingende Worte. Nur, daß sie eben nicht harmlos waren.
    Ich glaube, er konnte ihr nicht widerstehen. Vermutlich hätte ich das auch nicht gekonnt. Nicht in diesem Augenblick. Ich wußte genau, was sie tat, und sie wußte es ebenfalls. Sie stellte ihn vor eine Wahl. Auf meiner Seite nichts als Probleme, ein verlorener Job, persönlicher Ärger, möglicherweise sogar Schimpf und Schande. Auf ihrer dagegen Sicherheit, beruflicher Erfolg, die Hochachtung der Kollegen. Und Liebe. Ich glaube, sie bot ihm Liebe an. Ich wußte, was in ihrem Cottage geschehen würde, wenn er mit ihr ging, und er wußte es auch. Aber er ging mit. Er verabschiedete sich nicht mal von mir. Sie schlang sich das Handtuch um die Schultern und kehrte uns den Rücken, als sei sie hundertprozentig sicher, daß er ihr folgen würde. Und er folgte ihr tatsächlich. Und zwei Tage später, am Freitag, dem 12. August, brachte er sich um. Ich weiß nicht, was sie zu ihm gesagt haben mag. Jetzt wird das keiner mehr erfahren. Aber nach diesem Zusammentreffen konnte er, glaube ich, einfach nicht mehr. Es war nicht das, was sie ihm angedroht hatte, ich weiß ja nicht mal, ob sie ihm überhaupt gedroht hat. Aber ohne dieses Zusammentreffen am Strand würde er jetzt, glaube ich, noch leben. Sie hat ihn umgebracht.«
    »Und davon wurde bei der Untersuchung nichts erwähnt?« fragte Dalgliesh.
    »Nein, nichts. Es gab keinen Grund, warum es erwähnt werden sollte. Ich wurde nicht als Zeuge aufgerufen. Alles wurde sehr diskret gehandhabt. Alex Mair wünschte keine Publicity. Wie Sie vermutlich bemerkt haben werden, gibt es kaum jemals Publicity, wenn im Atomkraftwerk etwas schiefgeht. Die sind alle zu Meistern des Vertuschens geworden.«
    »Und warum erzählen Sie mir das?«
    »Weil ich wissen möchte, ob Rikkards unbedingt davon erfahren muß. Aber vermutlich erzähle ich es Ihnen, weil ich mit jemandem darüber reden muß. Warum ich Sie ausgesucht habe, weiß ich nicht so genau. Tut mir leid.«
    Die richtige, jedoch wenig freundliche Antwort hätte gelautet: »Sie haben mich ausgesucht, weil Sie hofften, daß ich die Information an Rikkards weitergeben und Sie dadurch von der Verantwortung befreien werde.« Doch Dalgliesh sagte:
    »Es ist Ihnen natürlich klar, daß Chief Inspector Rikkards diese Information erhalten muß.«
    »Meinen Sie wirklich? Ich möchte nämlich ganz sichergehen. Das sind vermutlich die ganz normalen Hemmungen, wenn man mit der Polizei zu tun kriegt. Was werden sie damit anfangen? Kommen sie vielleicht auf falsche Gedanken? Könnte sie auf einen Menschen hinweisen, der möglicherweise unschuldig ist? Sie vertrauen vermutlich auf die Integrität der Polizei, sonst würden Sie ja nicht Polizist bleiben. Aber wir anderen wissen, daß etwas schiefgehen kann, daß Unschuldige verfolgt werden und die Schuldigen davonkommen können, daß die Polizei nicht immer so gewissenhaft ist, wie sie vorgibt. Ich bitte Sie nicht, es ihm an meiner Stelle zu sagen, so kindisch bin ich nicht. Aber ich weiß nicht recht, ob es wirklich wichtig ist. Beide sind inzwischen tot. Ich wüßte nicht, ob es Rikkards hilft, Miss Robarts’ Mörder zu finden, wenn er von diesem Zusammentreffen weiß. Ins Leben zurückbringen wird das mit Sicherheit keinen von beiden.«
    Dalgliesh füllte Pascoes Kaffeebecher noch einmal. Dann sagte er: »Natürlich ist diese Information wichtig. Sie deuten an, daß Hilary Robarts Gledhill durch Erpressung gezwungen haben könnte, seinen Job zu behalten. Wenn sie das bei einem tun konnte, könnte sie es auch bei einem anderen getan haben. Alles, was Miss Robarts betrifft, könnte im Zusammenhang mit ihrem Tod wichtig sein. Und machen Sie sich nicht zu große Sorgen über unschuldig Verdächtigte. Ich will nicht behaupten, daß die Unschuldigen bei einer Morduntersuchung nicht leiden müssen. Natürlich tun sie das.

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