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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Tau vom Poller. Caroline hatte den Motor gestartet, das Boot entfernte sich langsam vom Kai. Und nun nahm er zum erstenmal das andere Mädchen richtig wahr. Sie hatte kein Wort gesprochen, seit er da war. Schweigend stand sie neben Caroline im Cockpit, ernst, ein wenig fröstelnd und irgendwie sehr verletzlich, und er glaubte auf ihrem Kindergesicht einen Ausdruck verwirrten Mitgefühls zu entdecken, bevor die Tränen in seinen Augen brannten und das Boot samt Besatzung zu einem formlosen Umriß verschwamm. Er wartete, bis sie auf dem schwarzen Wasser fast außer Sichtweite waren, dann faßte er einen weiteren Entschluß. Er wollte sich ein Pub suchen, ein Bier trinken, eine Kleinigkeit essen und wieder dort sein, wenn sie zurückkehrten. Lange konnten sie nicht draußen bleiben, sonst verpaßten sie die Tide. Und er mußte einfach die Wahrheit erfahren. In dieser Ungewißheit konnte er keine weitere Nacht verbringen. Er stand auf dem Kai und starrte aufs Meer hinaus, als sei das kleine Boot mit den beiden Insassen noch zu sehen; dann wandte er sich ab und schlurfte mit schleppenden Schritten zum nächsten Pub.

44
    Das unnatürlich laute Dröhnen des Motors erschütterte die stille Luft. Fast hätte Amy erwartet, daß überall Türen aufgingen und Menschen zum Kai heruntergelaufen kamen, um hinter ihnen her zu schimpfen. Nach einer kurzen Bewegung von Caroline erstarb der Lärm zu leisem Geflüster. Sanft entfernte sich das Boot vom Kai. Zornig erkundigte sich Amy: »Wer ist das? Wer ist dieser Scheißer?«
    »Nur ein Mann von Larksoken. Jonathan Reeves. Er ist unwichtig.«
    »Warum hast du ihn belogen? Warum hast du ihm Lügen über uns erzählt? Wir sind kein Liebespaar!«
    »Weil es nicht anders ging. Aber was spielt das schon für eine Rolle? Es ist unwichtig.«
    »Für mich ist es aber wichtig. Sieh mich an, Caroline! Ich rede mit dir!«
    Aber Caroline sah ihr nicht in die Augen. Gelassen sagte sie:
    »Warte, bis wir aus dem Hafen sind. Ich muß dir etwas mitteilen, aber ich möchte erst im tiefen Wasser sein und muß mich konzentrieren. Geh nach vorn in den Bug und halte Ausschau.«
    Einen Moment lang blieb Amy unschlüssig stehen, dann gehorchte sie und suchte sich vorsichtig, an die Dachkante der niedrigen Kabine geklammert, einen Weg über das schmale Deck. Sie wußte nicht recht, ob es ihr nicht doch irgendwie zusagte, daß Caroline sie in der Hand hatte und dies auch deutlich zeigte. Dabei hatte die Tatsache, daß Amy Gefallen an der Situation fand, nichts mit dem Geld zu tun, das unregelmäßig und anonym auf ihr Postgirokonto eingezahlt oder in den Abteiruinen versteckt wurde, und es war auch nicht die Erregung und das Gefühl geheimer Macht, die ihr aus der Tatsache erwuchsen, daß sie an einer Verschwörung teilnahm. Vielleicht hatte sie sich nach jenem ersten Treffen im Pub von Islington, das zu ihrer Anwerbung für die Operation »Birdcall« führte, im Unterbewußtsein für Loyalität und Gehorsam entschieden und war nun, da der große Test gekommen war, unfähig, sich dieser unausgesprochenen Treuepflicht zu entziehen.
    Als Amy zurückblickte, sah sie, daß die Lichter im Hafen schwächer wurden und die Fenster erst zu kleinen Lichtquadraten und dann zu Nadelköpfen schrumpften. Der Motor legte noch Geschwindigkeit zu, und während sie im Bug stand, spürte sie die immense Macht der Nordsee unter ihren Füßen, vernahm das Zischen des sich teilenden Wassers, sah die noch ungebrochenen Wogen schwarz und blank wie Öl aus dem Nebel auftauchen, fühlte, wie sich das Boot hob, ein wenig schwankte und wieder hinabsank. Nachdem sie zehn Minuten Wache gehalten hatte, verließ sie ihren Posten und kehrte zum Cockpit zurück. »He«, sagte sie, »wir sind jetzt weit vom Land entfernt. Was ist eigentlich los? Mußtest du ihm so was sagen? Ich weiß, ich soll mich von den Leuten in Larksoken fernhalten, aber ich werde ihn aufsuchen und ihm die Wahrheit sagen.«
    Caroline stand regungslos an der Ruderpinne und blickte starr geradeaus. In der Linken hielt sie einen Kompaß. »Wir werden nicht zurückkehren. Das ist es, was ich dir mitteilen wollte.«
    Und bevor Amy auch nur den Mund öffnen konnte, fuhr Caroline fort: »Hör zu, fang jetzt nicht an, hysterisch zu werden und zu protestieren. Du hast das Recht auf eine Erklärung, und wenn du den Mund hältst, wirst du sie bekommen. Mir bleibt jetzt keine andere Wahl mehr: Du mußt die Wahrheit erfahren, oder wenigstens einen Teil davon.«
    »Welche Wahrheit?

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